Sweet about me
Maya?«
» Michelle«, korrigierte ich mich.
» Es geht Michelle ganz gut«, sagte die Heimleiterin zögernd.
Wir gingen in ihr Büro. Sterne aus Gold- und Silberpapier klebten auf dem Fensterglas. Die Espressomaschine blieb kalt. Weil Frau Breuer sich nicht setzte, blieb auch ich stehen.
» Was ist mit Michelle? Ich warte seit einer halben Stunde auf sie! Sie möchte übrigens ganz zu uns ziehen.«
Frau Breuer holte tief Luft. Sie musterte mich wie eine Nervenärztin den neu eingelieferten Patienten, der wegen Kannibalismus aufgefallen war.
» Michelle wird keine Sekunde mehr bei Ihnen verbringen! Seien Sie froh, wenn wir Ihre Frau nicht wegen Kindesmisshandlung anzeigen!«
Die Heimleiterin kickte eine auf dem Boden liegende Apfelsinenschale weg.
» Und Ihnen habe ich vertraut! Mich für Sie eingesetzt, sogar meinen Job riskiert, weil Sie mir leidtaten!«
Eine Zikadenarmee zirpte und zischelte in meinen Ohren. Ich wagte nicht zu fragen, worin das Risiko für ihren Job bestanden hatte. Ich starrte die Wand hinter Frau Breuer an, als sei dort die Antwort auf meine Frage zu finden. Der schwarz-gelbe Fußballwimpel unter dem Henri-Matisse-Plakat. In Toms Wohnzimmer hing genau so einer.
11
G leich zu Beginn, in der zweiten Spielminute, traf ein schwarz-gelber Spieler krachend den Pfosten des gegnerischen Tors.
» Fulminant«, sagte ich.
» Kannst ruhig Deutsch sprechen, bist hier nicht in der Uni«, antwortete Tom, irgendwie verärgert und ohne mich anzusehen. Schon auf der Fahrt zum Stadion war er einsilbig und abweisend gewesen.
Die Flutlichtmasten glühten. Der Ball flog hin und her, zwanzigtausend Zuschauer schrien, gebannt vom Auf und Ab, Kreuz und Quer, von dieser monströsen, sinnlosen Choreografie. Es stand 0:0, trister Haferflockenschnee fiel. Die Spieler der Heimmannschaft warben auf ihrem Trikot für einen Versicherungskonzern, die Gäste für einen Getränkehersteller. Obwohl ich schon zwei Becher Glühwein getrunken hatte, war mir kalt. Mir fehlte der Blick für taktische Finessen, gewitztes Stellungsspiel. Das Studieren einer Fußballtabelle war für mich nie eine erotische Handlung gewesen. Aber ich gab mir Mühe, mich für Toms Klub zu begeistern. Tom dankte es mir nicht. Er verfolgte das Geschehen wie ein Operettenliebhaber, der in ein Free-Jazz-Konzert geraten war und außerdem unter starken Zahnschmerzen litt. Ich nahm mein Handy, wählte Gersters Nummer, aber er meldete sich wieder nicht, seine Mailbox war tot. Ich sah zur Stadionuhr, auf den trägen Minutenzeiger. Tom schwieg.
» Ist irgendwas?«, fragte ich ihn.
Er schien auf diese Frage gewartet zu haben. » Allerdings ist irgendwas«, antwortete er, jede Silbe betonend. Dabei starrte er den Flutlichtmast gegenüber an. » Am liebsten hätte ich die Eintrittskarten für das Spiel zerrissen!«
» Warum?«, fragte ich fast ängstlich.
» Tu nicht so unschuldig«, sagte Tom. Seine Stimme zitterte vor Wut. » Du bist gesehn worden, wie du bei diesen dreckigen Hundehassern unterschrieben hast. Heike musste weinen, weil sie so enttäuscht von dir ist!«
» Wer will mich denn gesehn haben?«, fragte ich lahm.
» Bin doch kein Verräter wie du«, antwortete Tom. Er putzte sich die Nase, kontrollierte den Sitz seiner Mütze. » Aber gut«, sagte er. » Wenn du dich bei uns entschuldigst, belasse ich’s bei ’ner gelben Karte.«
Der Schiedsrichter pfiff, die Zuschauer pfiffen ihn aus. Tom schwieg. Ich sah zur Stadionuhr. Der Schneefall ließ nach. Ich wählte noch einmal Gersters Nummer, wieder nichts.
» Hast du eigentlich mal Fußball gespielt?«, sagte Tom so plötzlich, dass ich erschrak. » Im Verein, mein ich. Inter Mailand, Manchester United oder so.«
Er lächelte versöhnlich.
» Rhenania 1912«, antwortete ich froh. » Reservemannschaft. Der Ball war immer mein Feind. Bis auf ein einziges Mal …«
» Mach’s nicht so spannend«, sagte Tom.
Und dann erzählte ich ihm die Geschichte meines größten fußballerischen Erfolgs.
Ich war nie zum Training gegangen, doch der Trainer hatte immer zu mir gehalten. Sein größtes sportliches Problem war nicht das Yoyo zwischen vorletztem und letztem Tabellenplatz, sondern elf Spieler zusammenzubekommen. Wenn sich an einem Sonntagmorgen mal wieder nur sieben oder acht Mann auf dem Parkplatz vor dem Vereinsheim lümmelten, setzte er sich in den von seiner achtzehnjährigen Tochter Regina gesteuerten, gleichaltrigen VW und begann mit dem, was er Lumpen sammeln nannte.
Regina und
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