Sweet about me
Spielautomaten und die Weihnachtsdekoration glitzerten und flimmerten. Das Klappern des Tischfußballs in den Pausen zwischen den Musiktiteln. Ich zog an einer Zigarette, obwohl ich mir das Rauchen vor zwanzig Jahren abgewöhnt hatte. » London«, sagte ich, und dann wusste ich nicht weiter. Tom tätschelte sein Bierglas, inspizierte den Inhalt. Eine Frau mit knittrigem Lächeln und großem Dekolleté setzte sich auf meinen Schoß. Sie wollte mir die Zukunft aus der Hand lesen.
» Herrenabend, verpiss dich«, sagte Tom.
» Vulgärer Kerl!«, rief die Frau. » Von dir lass ich mir nichts sagen.
» Ich zähl bis drei«, sagte Tom. » Bei drei Intensivstation.«
Er baute sich drohend auf. Vicky Leandros sang Theo, wir fahrn nach Lodz.
Ich ging aufs Klo. Der Mann neben mir pisste sich auf die Schuhe. » Entschuldigung«, sagte er, und dass er mal sieben Semester Medizin studiert habe. Als ich zurück an unseren Tisch kam, steckte Tom gerade sein Handy weg. Jemand fragte, wie das Spiel ausgegangen sei. Ich wusste es nicht. Weil in meinen Bauch kein Bier mehr passte, nahm ich einen Schnaps. Die Frau mit dem Dekolleté bestellte ein Taxi. » Komm doch mit«, sagte sie.
Tom aß eine Frikadelle mit viel Senf. Mit verschwommenem Blick fing er wieder von Vanessa an. Ich hörte seine Stimme wie von fern.
» War vielleicht ein Fehler, dass ich sie hab sausen lassen. Heike ist unten nämlich zu weit gebaut. Ich komm damit nicht klar. Da ist keine Reibung, verstehst du? Sie meint, ich wär impotent, dabei ist sie schuld. Aber sagen kann ich ihr das natürlich nicht.«
Tom stieß sein Bierglas um. Er wischte die Scherben weg, ohne sich zu verletzen. Das Lachen der Wirtin endete in einem Raucherhusten. Meine Augen tränten vor Müdigkeit und Kopfschmerzen. Peter Maffay sang Und es war Sommer, als Gitta reinkam.
» Das ist ja ein Zufall!«, rief sie. Sie drückte sich an mich, überwältigte mich mit einem Kuss. Sie sah umwerfend aus in ihrem weißen Pelzmantel, aufsehenerregend wie ein Popstar.
12
D as Lachen der anderen hatte Paul und mich zusammengebracht. Zu Beginn des Schuljahrs, meinem ersten auf dem Gymnasium, las der Klassenlehrer die Namen der Schüler in alphabetischer Reihenfolge vor, außerdem ihr Geburtsdatum und den Beruf des Vaters. Mein zweiter Vater war Alleskönner, der Klassenlehrer las aber: Maurer. Die neuen Klassenkameraden, Söhne von Ärzten, Rechtsanwälten und Betriebsleitern, lachten, als sei Maurer so was Ähnliches wie Klomann oder Ziegenmelker. Als Paul drankam, blieb alles still, sein Vater war Geschäftsmann, Inhaber eines Zeitschriftenladens. Doch es dauerte nicht lange, da wussten alle, was mit dem Laden und dem Vater los war und lachten nun auch Paul aus.
Im Schaufenster hing ein großes Plakat, darauf stand: Kein Verkauf von Tabakwaren an Frauen! » Jeden Morgen, wenn die Zeitungen und Zeitschriften angeliefert werden«, sagte Paul, » sortiert mein Vater die aus, wo vorne Frauen im Badeanzug drauf sind.« Kein Verkauf an Frauen und Männer. » Deshalb verdient mein Vater auch nicht viel. Der Bodensee oder Italien sind in den Sommerferien nicht drin.«
Paul durfte nicht am Religionsunterricht und an der Schulmesse teilnehmen, weil er und seine Eltern bei den Zeugen waren. Aber ich beneidete ihn nicht, denn er musste dann im Kabuff des Hausmeisters sitzen, Aufsätze schreiben, Mathematikaufgaben lösen und sich vom Hausmeister, dem er im Weg war, anschnauzen lassen. Bevor die Weihnachtsfeier begann, holte sein Vater ihn persönlich ab, und Geburtstag gab es für Paul auch nicht. Aber außer mir wäre sowieso niemand gekommen.
Einer aus der Oberstufe hatte mir im Schulbus gegenübergesessen und lässig blätternd in der BRAVO gelesen. Auf der Titelseite war ein Foto von Ringo, darunter stand in großen Buchstaben, dass er in Gefahr sei. Ich fragte, was Ringo für Probleme habe, aber der aus der Oberstufe zog bloß die Nase hoch. Ich erzählte Paul von Ringos Schwierigkeiten. Er kannte Beethoven besser als die Beatles, schlug aber vor, ich könne den Bericht kostenlos im Laden seines Vaters lesen. Das reichte mir nicht, ich wollte das Heft besitzen, mit Leichtigkeit im Schulbus darin blättern, es unter dem Arm durch die Stadt tragen, und zwar so, dass jeder den Namen BRAVO lesen konnte. Über 1,1 Millionen Druckauflage, stand auf dem Titelbild mit dem lässig rauchenden Ringo. Nur ich konnte mir das Heft nicht leisten. Wegen einer Sechs in Mathe hatte ich kein Taschengeld, aber einen
Weitere Kostenlose Bücher