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Sweet about me

Sweet about me

Titel: Sweet about me Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Sous
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im Supermarkt eine Dosenmakrele. Die Kassiererin, vor deren Kasse ich in der Schlange stand, war anscheinend neu. Sie hatte einen roten Kopf. Der Filialleiter sah ihr auf die Finger und machte aufdringlich gut gelaunt Witzchen, um die Wartenden bei Laune zu halten. Ich wechselte zu einer anderen Kasse. Dort schaffte es die Kassiererin nicht, eine neue Papierrolle einzulegen. George Michael sang Last Christmas. Die Papierrolle fiel auf den Boden. Die Kassiererin weinte, die Alarmanlage heulte. Die Leute hinter mir wünschten sich die D-Mark zurück.
    Ich ärgerte mich, weil ich immer an Tom und Heike denken musste. Aber Toms silbergrauer Ford stand nicht vor dem Haus, als ich zurückkam. Schräg gegenüber war Geschrei, ein Mann schubste einen anderen gegen einen Laternenpfahl, Flugblätter flogen. Es ging, erfuhr ich, um Hundekot auf den Gehwegen und Spielplätzen des Viertels, um Belästigung und Gefährdung durch nicht angeleinte, aggressive Hunde. Eine Frau mit bunten Ohrenschützern hielt mir eine Unterschriftenliste hin, in der die Verdopplung der Hundesteuer und eine verschärfte Überwachung der Anleinpflicht gefordert wurden. Ein Hund, so groß wie Sammy oder Mars, protestierte scharf, während ich mich in die Liste eintrug. » Danke«, sagte die Frau und lächelte. Ich lächelte zurück, fühlte mich leicht wie nach einer guten Tat.
    » Dosenfutter«, sagte Frau Hauenstein zu der Konservenmakrele. » Bin doch keine Katze!« Trotzdem machte sie sich keuchend auf den Weg zum Schrank mit den Jazzplatten. Bevor sie die Türen öffnete, fiel ihr ein, dass ihr Charles 1959 einmal mit Chet Baker zusammen gespielt hatte, in Frankfurt am Main war das gewesen.
    » Ich saß in der ersten Reihe, Schuhe mit Absätzen so hoch wie der Kölner Dom. Nach dem Konzert sind wir gemeinsam ausgegangen. Ein wahnsinnig lieber Mensch. Chet, nicht Charles!«
    » Chet Baker?«, fragte ich ungläubig. » Sind Sie sich da wirklich ganz sicher?«
    » Adolf Hitler war es jedenfalls nicht, der da My Funny Valentine auf der Trompete gespielt hat.« Frau Hauenstein zielte mit der Spitze ihres Stocks auf mich. » Du hältst mich wohl für eine völlig verblödete alte Tante, was?«
    Ich verneinte. Danach entstand eine böse Pause, bis Frau Hauenstein sagte: » Freundchen, ich fürchte, du hast heute zum letzten Mal für mich einkaufen dürfen.«
    Ich bat sie, gnädig zu sein und mir außerdem beim nächsten Mal mehr von Chet Baker zu erzählen. Ich sei jetzt in Eile. Ich schlich die Treppe runter, aber nachdem ich fünf oder sechs Stufen geschafft hatte, kam Tom aus seiner Wohnung. Er pfiff ein Liedchen und hatte alles dabei, was man zum Autowaschen braucht.
    » Gut, dass ich dich treffe«, sagte er. » Ich hab zwei Karten organisiert für das Match nächsten Freitag!«
    » Toll, ich freu mich«, antwortete ich. » Riesig.«
    Tom ließ mir höflich den Vortritt und kam mit Wasserschlauch und Putzzeug hinter mir her.
    » Übrigens«, sagte er, » das mit eurer Tochter tut mir leid. Heike natürlich auch. Wie ist es denn passiert?«
    » Autounfall.« Ich räusperte mich. » Und wie stehn die Chancen am Freitag?«
    Die Frühstücksgäste hatten sich verabschiedet, aber ihre Tassen, Messer, Krümelteller waren noch da, die Luft roch noch süßlich nach ihrem Rasierwasser und Geschwätz. Betty räumte übrig gebliebene Brötchen weg und sprach davon, dass wir in diesem Jahr Weihnachten nicht feiern würden. » Aber du musst nicht traurig sein«, sagte sie zu Michelle. » Geschenke bekommst du natürlich. Am 28. Dezember oder Anfang Januar. Wann du willst.«
    » Ich will meine Weihnachtsgeschenke aber Weihnachten kriegen«, sagte Michelle. » Wie alle anderen auch!«
    » Das geht aber nicht«, sagte Betty und lächelte um Verständnis.
    » Und warum geht das nicht?«, schrie Michelle. » Weil du blöde Tussi jetzt in so einer scheiß beschissenen Sekte bist?«
    Da schlug Betty Michelle ins Gesicht, so heftig und zielgenau, als hätte mein zweiter Vater ihr das beigebracht.

10
    S echs Tage später, am Freitag, dem zwölften Dezember gegen fünfzehn Uhr, war ich auf dem Weg zum Kinderheim. Im Autoradio eine Sendung über den 1953 an einem Schlaganfall gestorbenen Gitarristen Django Reinhardt. » Der Sohn französischsprachiger Sinti entwickelte wegen seiner bei einem traumatischen Wohnwagenbrand verkrüppelten linken Hand eine völlig neue Spieltechnik«, sagte die Sprecherin. » Hören Sie den Meister der Improvisation zusammen mit Stéphane

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