Symphonie der Herzen
hinüber. »Jetzt ist die Gelegenheit, um zu verschwinden«, flüsterte sie. »Aber beeilt euch, ehe ich noch anfange zu heulen.«
Hastig drückte James seine Schwiegermutter einmal fest an sich. »Danke für alles«, flüsterte er. Dann ergriff er Louisas Hand und eilte mit ihr die Treppe hinauf.
Erst als sich die Tür des Hochzeitszimmers hinter ihnen geschlossen hatte, erlaubten die beiden es sich, einmal tief durchzuatmen -und die Masken fallen zu lassen.
»Kompliment«, raunte James. »Deine schauspielerische Darbietung hat alle überzeugt. Ich denke, du hast zumindest deine Eltern und meine Mutter heute sehr glücklich gemacht.« Gähnend legte er seinen eleganten Gehrock und sein seidenes Halstuch ab.
»Ich bin auch froh, dass es endlich vorbei ist.« Müde löste Louisa den Schleier aus ihrem Haar. Aber in Wahrheit ist es ja noch lange nicht vorbei, seufzte sie im Stillen. Das Drama hat gerade erst begonnen! Dabei schaute sie auf das ausladende Bett, das liebevoll mit weißen Rosenblättern bestreut worden war. Unterdessen ging James zum Fenster am anderen Ende des riesigen Zimmers hinüber und drehte Louisa demonstrativ den Rücken zu, um die letzten bunten Lichter des Feuerwerks zu bestaunen.
Schön, dass er wenigstens so viel Anstand hat, sich umzudrehen, während ich mich ausziehe, dachte sie und legte eilig ihr Brautkleid und ihre Unterröcke ab, um in das weiß-seidene Nachthemd zu schlüpfen, das auf ihrem Kopfkissen ausgebreitet lag. Anschließend blickte sie einen Moment lang nachdenklich auf den muskulösen Rücken ihres Ehemannes und stellte fest, dass die Kluft zwischen ihnen beiden sehr viel größer war als die Distanz zwischen Fenster und Bett.
Traurig löschte sie die Lampe und schlüpfte zwischen die Laken. »Gute Nacht, Lord Abercorn.«
Ohne sich vom Fenster abzuwenden, entgegnete James leise: »Gute Nacht, Louisa.«
Eine ganze Stunde lang blieb er noch am Fenster stehen; er wollte mit dem Ausziehen warten, bis Louisa eingeschlafen war. Schließlich legte auch er seine Kleidung ab, ging zu der breiten und weich gepolsterten Chaiselongue hinüber, die ebenfalls zum Mobiliar des Hochzeitszimmers gehörte, und griff nach dem für ihn bereitgelegten Hemd; obgleich er es eigentlich auch nur deswegen überziehen wollte, um nicht das Schamgefühl seiner Braut zu verletzen. Kaum aber hatte er sich das Hemd über den Kopf gestreift, musste er auch schon leise lachen: Das Hemd reichte ihm nur gerade bis zum Bauchnabel. Louisas jüngere Brüder hatten sich offenbar einen kleinen Streich erlaubt und es gekürzt.
Lächelnd zog er das Hemd wieder aus und legte sich nackt schlafen, so wie immer.
Ganz ruhig lag er da und wartete darauf, dass Morpheus ihn einlullen würde, doch er blieb hellwach. Schließlich erhob er sich wieder und trat leise an das Ehebett heran. In dem fahlen Licht des Mondes war Louisa von geradezu ätherischer Schönheit, und ihr liebreizendes Gesicht war von einer solch kindlichen Unschuld überhaucht, dass James bei ihrem Anblick das Herz schmerzte.
Mit kummervoller Miene erinnerte er sich wieder an seine Empfindungen, als er seiner Mutter davon berichtete, dass er Louisa gefragt hatte, ob sie ihn heiraten wolle: Jahrelang hatte es für ihn nur sie gegeben, aber in diesem Augenblick war er sich seiner Gefühle für Louisa plötzlich sehr unsicher gewesen.
Nun jedoch wusste er umso bestimmter, wie er für sie empfand. Ich liebe sie noch immer, dachte er. Sie verkörpert alles, was ich will.
Und wenn er ganz ehrlich mit sich war, so musste er sich eingestehen, dass es im Grunde bloß sein verletzter Stolz gewesen war, der ihn so wütend gemacht hatte, als er erfuhr, dass sie einen anderen offenbar mehr liebte als ihn.
Leise nahm er seinen Gehrock auf und zog das kleine weiße Heidesträußchen aus dem Knopfloch, um es sachte neben Lu auf das Kissen zu legen.
Doch an Schlaf war für ihn auch jetzt noch lange nicht zu denken. Stattdessen ging er mit beständig schneller pochendem Herzen zurück zur Chaiselongue, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schwor sich mit grimmiger Miene: Ich werde diesen Kerl zur Strecke bringen, der Lu so verletzt hat. Ja, das werde ich. Ich schwöre es bei Gott!
22
Irland wird seinem Ruf als grüne Insel wahrlich gerecht. Egal, wohin man auch blickt, überall entdeckt man so herrlich malerische Landschaften, dass es einem schier den Atem verschlägt.« Ergriffen blickte Louisa aus dem Kutschenfenster hinaus und betrachtete das
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