Symphonie der Herzen
Beleidigung ihr den Atem.
»Euch mag es ja vielleicht egal sein«, fuhr James fort, »wie sehr Ihr Eure Mutter trefft. Aber ich werde ganz sicher nicht zulassen, dass Ihr auch noch meine verletzt. Und darum schwöre ich Euch: Wir beide werden morgen heiraten, Lady Lu, so wahr ich hier stehe.«
Mit einem Mal erschien wieder Harriets trauriges Gesicht vor
Louisas geistigem Auge. James Mutter würde bald sterben, daran bestand kein Zweifel. Wie sollte Louisa es unter diesen Umständen also über sich bringen, die Hochzeit abzusagen? Und auch meiner eigenen Familie kann ich diesen Schmerz unmöglich zufügen, überlegte sie betrübt.
Dann, urplötzlich, erinnerte sie sich wieder daran, wer sie war, und ihr Stolz kehrte zurück. »Also gut«, verkündete sie mit trotzig gerecktem Kinn, »mein Vater hat mir Euren Namen erkauft, und darum will ich mich in dieses Arrangement fügen. Ich werde morgen Euren Namen annehmen. Aber eines garantiere ich Euch bereits jetzt: Diese Ehe wird nur auf dem Papier bestehen!«
»Eine ganz vorzügliche Idee, Lady Lu«, stimmte James ihr zu. »Genau das ist nämlich auch mein Wunsch: eine Ehe, die nur auf dem Papier existiert.« Energisch nahm er die Schreibfeder auf und reichte sie ihr.
Louisa nahm den feinen Federkiel entgegen und schrieb in erlesenster Kalligrafie: Louisa Jane Russell. Dann schüttelte sie das Schreibwerkzeug einmal wütend, und das kostbare Schriftstück wurde mit unzähligen Tintenflecken besprüht.
»Sehen sie nicht aus wie kleine Engel?«, raunte Louisa ihrem Vater zu, als ihre beiden Blumenkinder, Rachel und Alexander, langsam den Mittelgang der Kapelle entlangschritten. Hinter ihnen folgten ihre Brüder Henry, Cosmo und Jack, am Arm jeweils eine ihrer Cousinen. Das Schlusslicht bildeten Claud, James’ Trauzeuge, und Georgy, Louisas Trauzeugin.
Aufmunternd drückte John Russell Louisas Hand und führte sie auf den Altar zu, wo James Hamilton bereits auf seine Braut wartete.
»Liebe Gemeinde«, erklärte der Geistliche mit salbungsvoller Stimme, »wie haben uns heute hier im Angesichte Gottes versammelt, um dabei zu sein, wenn dieser Mann und diese Frau in den heiligen Stand der Ehe treten.«
Louisa wagte kaum ihren Bräutigam anzublicken und starrte stattdessen bloß stumm geradeaus. Der Altar vor ihr war mit einem tiefvioletten Samttuch bedeckt, das mit einer goldenen Stickereiborte eingefasst war. Hohe duftende Kerzen in schweren silbernen Kerzenhaltern flackerten je rechts und links von einer kostbaren Alabastervase, die üppig mit weißen Maiglöckchen und Rosen bestückt war. In Louisas Bouquet steckten, soweit sie dies durch ihren Brautschleier erkennen konnte, neben anderen Blumen auch einige Büschel weißes Heidekraut; Letzteres war der traditionelle Brautschmuck in Schottland. Es war ein Glückssymbol und sollte der Braut seinen Segen erteilen, auf dass all ihre Wünsche sich erfüllen würden. Louisa musste einmal schwer schlucken, als sie die winzigen weißen Blüten betrachtete.
Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem Festessen vom Vorabend. Sowohl für sie als auch für James war dieser Abend ein Ritt auf dem Pulverfass gewesen. Zwar hatten sie sich weder durch Gesten noch durch Worte verraten - ganz im Gegenteil sogar: Ihre beiden Familien waren fest davon überzeugt, Louisa und James wären das perfekte Paar. Doch dieser Eindruck basierte eher auf der unausgesprochenen Übereinkunft der beiden, ihren Familien keinen Kummer bereiten zu wollen, statt auf ehrlichen Gefühlen.
»Ich will.«
Laut hallte Abercorns dunkle Stimme durch Louisas Bewusstsein, und die Erinnerungen an den Vorabend zerstoben wieder. Denn soeben hatte James, auf die Frage des Geistlichen hin, bestätigt, Louisa zu seiner rechtmäßig angetrauten Ehefrau zu nehmen. Nun war sie dran. Angestrengt konzentrierte Louisa sich wieder ganz auf die Zeremonie.
»Und willst du, Louisa Jane, diesen Mann zu deinem rechtmäßig angetrauten Ehemann nehmen, um mit ihm nach Gottes Willen im heiligen Stand der Ehe zu leben? Willst du ihm gehorchen und ihm dienen, ihn lieben und ehren, ihm treu sein, in Krankheit und Gesundheit, und allen anderen abschwören und allein ihn in deinem Herzen tragen, so lange ihr beide lebt?«
»Ich will.« Was bin ich doch für eine ausgezeichnete Schauspielerin!
»Und wer übergibt diese Frau an diesen Mann?«
»Ich.« Sanft ergriff John Russell Louisas Hand und legte sie in die von James.
Danke, Vater, fluchte Lu im Stillen, dass du ganze zwölftausend
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