Symphonie der Herzen
ihren langen Strümpfen ein paarmal im Kreise, um zum Schluss einen typisch irischen Luftsprung zu vollführen. »Danke!«, rief sie nochmals.
In der Nacht jedoch, als sie wieder allein in ihrem kleinen Boudoir lag, kehrte ihre Angst zurück, und mit sorgenvollem Stirnrunzeln dachte sie über James’ Kinderwunsch nach. Schließlich aber verebbte ihre Angst, und an ihre Stelle trat ein Gefühl der Scham. James ist mir gegenüber immer so liebevoll, dachte sie, und dennoch habe ich mich noch in keinster Weise dafür erkenntlich gezeigt. Sämtlicher Zorn, den er mir gegenüber ursprünglich gehegt hat, ist offenbar verraucht, und wir sind fast schon so etwas wie Freunde geworden. Ich aber halte noch immer an der Mauer fest, die ich zwischen uns beiden errichtet habe.
Langsam begriff Louisa, dass das Kriegsbeil zwischen ihr und James längst begraben worden war. Stattdessen kämpfte sie nun mit sich selbst. Denn eigentlich war es ihr vollkommen fremd, sich so selbstsüchtig zu verhalten, wie sie sich im Moment gab, und von Tag zu Tag fiel es ihr schwerer, ihre ablehnende Haltung James gegenüber beizubehalten. Die emotionale Barriere zwischen ihnen beiden schmolz in schwindelerregendem Tempo dahin. Und auch Louisas Angst vor James’ physischer Nähe hatte sich seit ihrer Schwimmstunde im See gelegt. Einzig und allein die Furcht vor der partnerschaftlichen Intimität war geblieben. Schlimmer sogar: An dieser Furcht trug James nicht die geringste Schuld, was Louisa nur noch zusätzlich zermürbte.
Wie immer, wenn Lu gerade einen Kampf mit sich selbst austrug, kehrte ihr altbekannter Albtraum zurück und riss sie mit sich in die Tiefe, kaum dass sie die Augen geschlossen hatte: Wieder einmal befand sie sich im Garten von Woburn Abbey und war umgeben von duftenden Lupinen. Wieder hörte sie den angsterfüllten Schrei ihrer Mutter, und wieder sah sie das viele Blut, das das Kleid von Georgina befleckte. Dann aber verlagerte sich der Fokus in ihrem Traum, und Louisa wandte den Blick von ihrer Mutter ab. Nun schaute sie an sich selbst hinab und sah, dass sie ein blütenweißes Nachthemd trug, das plötzlich von ihrem eigenen Blut durchtränkt wurde. Nein! Nein! Hilfe ... Hilfe! Abermals drangen die vertrauten Schreie an ihr Ohr, bis Louisa erkannte, dass es nicht die Schreie ihrer Mutter waren, sondern ihre eigenen.
Voller Panik erwachte Louisa aus ihrem Traum, als sie plötzlich spürte, wie zwei kräftige Arme sie einfach aus dem Bett hochhoben; es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass es James war, der sie nun fest an sich drückte. »Was zum Teufel tust du da?«, rief sie entsetzt.
»Du hast einen Albtraum gehabt«, erklärte er ihr mit beruhigender Stimme. »Ich wollte bei dir sein.« Entschlossenen Schrittes trug er sie ins Hauptschlafzimmer hinüber und legte sie in sein Bett. Dann kletterte er zu ihr und kuschelte sich dicht neben sie. »Erzähl mir doch einfach von deinem Traum, Liebes«, flüsterte er, während er ihr sanft das Haar aus der Stirn strich. »Dann legt sich deine Angst bestimmt wieder.«
Nein, dachte sie. Ich kann ihm unmöglich von dem Blut erzählen! Ich möchte auf keinen Fall noch einmal das Thema mit der angeblichen Fehlgeburt anschneiden. Dann würde alles wieder von vorne anfangen und James würde wieder wütend werden. »Ich ... ich kann mich nicht mehr an den Traum erinnern. Ich weiß nur noch, dass mir irgendetwas Angst gemacht hat. Aber nun ist der Traum ja vorbei, und ich kann wieder zurück in mein eigenes Bett.«
»Ganz sicher nicht.« James’ Tonfall ließ erkennen, dass er in dieser Angelegenheit keinen Widerspruch duldete. »Denn was Albträume betrifft, bin ich sozusagen ein echter Experte. Claud hat früher, als er noch klein war, oft Albträume gehabt. Und der einzige Weg, um ihn davon zu erlösen, war, ihm irgendwie wieder ein Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit zu vermitteln.« Was James Louisa hingegen nicht sagte, war, dass auch er lange Zeit unter Albträumen gelitten hatte; nur dass in seinem Fall niemand gekommen war, um ihn zu trösten. Auf alle Fälle wusste er somit aus eigener Erfahrung, wie grauenvoll diese dunklen nächtlichen Traumbilder sein konnten. »Hab ein wenig Geduld«, raunte er. »Sobald dir wieder warm geworden ist und du dich beruhigt hast, kannst du bestimmt auch wieder einschlafen.«
Argwöhnisch nahm Louisa wahr, wie James ihr den Rücken massierte, wobei er mit langsamen Bewegungen von ihren Schulterblättern über ihr Rückgrat bis
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