Symphonie der Herzen
Überfluss war James vor ihr auf Barons Court eingetroffen und wartete nun mit drohender Miene bereits vor ihrer Kutsche. Rasch raffte Lu ihre Röcke zusammen und fing an zu rennen, doch Abercorn war schneller und besaß mehr Entschlossenheit und Stärke, und so hatte er sie im Handumdrehen eingeholt. Wie ein Schraubstock schlossen sich seine Finger um ihr Handgelenk, woraufhin Lu mit ihrer freien Hand wie wild auf ihn einschlug und schließlich sogar versuchte, ihm mit ihren Nägeln das Gesicht zu zerkratzen. Doch nichts von alledem hatte Erfolg. Resignierend ballte sie die Hand zur Faust und hieb ihm einmal kräftig gegen die Brust. Dabei verletzte sie sich jedoch mehr ihre eigene Hand, als dass sie James in irgendeiner Weise wehgetan hätte, aber Lu schluckte den Schmerz hinunter und weigerte sich, sich etwas anmerken zu lassen.
Unterdessen zerrte James sie mit festen und weit ausholenden Schritten ins Haus. Allerdings ließ Lus Stolz es nicht zu, sich von irgendwem irgendwohin zerren zu lassen, und so fügte sie sich schließlich und eilte im Laufschritt neben ihrem Ehemann her. Schweigend erklommen sie die große Haupttreppe; unterdessen hätte Lu ihn am liebsten laut verflucht, doch sie spürte instinktiv, dass sie sich damit nur selbst ins Unrecht gesetzt hätte.
Zügig führte James sie ins Hauptschlafzimmer und dann durch die Zwischentür in ihr Boudoir. Erst dort ließ er ihr Handgelenk los und schaute ihr fest in die Augen. »Was genau wirfst du mir eigentlich vor?«, zischte er.
»Kitty Kelly ist schwanger - von dir!«
Eine komplette Minute lang starrte James sie nur wortlos an. »Wenn es das ist, was du von mir glaubst - wenn du mir so etwas wirklich zutraust, dann werden wir beide niemals eine echte Ehe
miteinander führen.« Er schwieg einen Moment, dann fuhr er fort: »Es ist mir ja nicht neu, dass du in Konfliktsituationen die Angewohnheit hast, dich komplett von der Außenwelt abzuschotten -wahrscheinlich um zu verhindern, dass man dir noch mehr wehtut. Aber genau darum will ich dir nun einen Gefallen tun. Ich gebe dir hiermit nämlich die einmalige Chance, wieder zu dir selbst zu finden und die Kraft aufzubringen, deine Anschuldigungen gegen mich gründlich zu überdenken - und dich damit am Ende selbst aus deinem Schneckenhaus zu befreien. Vor allem aber solltest du nicht darüber nachgrübeln, ob du mir trauen kannst, sondern versuche zu erspüren, ob du dir selbst traust, denn in deinem Selbstvertrauen liegt der Schlüssel zu unserer Ehe.«
Louisas Boudoir hatte zwei Türen - eine zum Korridor hin und eine zum Schlafzimmer. Rasch schloss James die zum Korridor gelegene Tür ab und ließ den Schlüssel in seiner Hosentasche verschwinden. Anschließend marschierte er hinüber ins Hauptschlafzimmer.
Voller Wut knallte Louisa die Verbindungstür hinter ihm zu. Kaum aber dass die Tür ins Schloss gefallen war, fiel Lu siedend heiß ein, dass sie keine Kleider mehr in ihrem Boudoir hatte. Sie hatte sie alle eingepackt und in die Kutsche verfrachten lassen. Sicherlich, im Hauptschlafzimmer hingen noch so einige ... Aber lieber gehe ich nackt, schimpfte sie im Geiste, als dass ich auch nur einen Fuß in diesen Raum setze!
Unterdessen machte James sich auf die Suche nach Kate Connelly. Er fand sie in ihrem kleinen Büro.
»Lord Abercorn«, schluchzte sie, als sie ihn erblickte. »Meine Tochter hat Schande über Barons Court gebracht.«
»Eins nach dem anderen, Kate«, beruhigte er sie. »Erzählt mir erst einmal, was überhaupt vorgefallen ist.«
»Kathleen ... Kitty ist heute gegen Mittag auf Barons Court eingetroffen, und sie hat einen kugelrunden Bauch! Sie ist schwanger. Darüber sind wir in Streit miteinander geraten, und unglücklicherweise hat Lady Abercorn diesen Streit gehört. Offenbar kannte Eure
Frau Kitty bereits. Aber sie wusste wohl nicht, dass wir beide Mutter und Tochter sind - bis heute Morgen.«
»Und wo ist Kitty jetzt?«
»Lady Abercorn hatte Molly angewiesen, eines der Gästeapartments für meine Tochter herzurichten. Es tut mir ja alles so leid, Mylord.« Kate zögerte einen Moment. »Kathleen hat übrigens gesagt, dass Ihr ihr die Miete für ihre Londoner Wohnung bezahlt. Stimmt das?«
»Ja. Kitty hat ursprünglich in einer ziemlich schäbigen Gegend gewohnt, einer Gegend, die absolut unpassend war für eine alleinstehende junge Dame. Ich habe deshalb eine Unterkunft ausfindig gemacht, die sehr viel geeigneter ist für sie. Und ich habe der Vermieterin einen kleinen
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