Symphonie der Herzen
Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe. »Himmel Herrgott noch mal! Was habe ich ihm da bloß an den Kopf geknallt?« Langsam begriff Louisa, dass sie ihm unrecht getan hatte, und sie schämte sich fürchterlich. Andererseits war ihr Selbstbehauptungsinstinkt noch immer stark genug, um ihr Tun mit irgendetwas rechtfertigen zu wollen.
»Aber warum hat dieser irische Teufel mir auch nicht die Wahrheit gesagt?«, fragte sie laut. »Dann wäre dieses Missverständnis doch gar nicht erst aufgekommen.« Doch schon bald erkannte sie, dass James’ unnachgiebiger Stolz es einfach nicht zuließ, sich für etwas zu rechtfertigen, was er gar nicht begangen hatte. Denn James wünscht sich, nein, er verlangt von seiner Frau, dass sie ihm vertraut, dachte Lu reumütig.
Grübelnd und mürrisch zugleich hob sie ihr Kinn. Also gut, dachte sie im Stillen. Den Vorwurf, der Vater von Kittys Kind zu sein, können wir also von mir aus von der Liste von James’ Verfehlungen streichen. Nichtsdestotrotz hat er mich hier eingesperrt, und das werde ich ihm nicht so schnell verzeihen! Wenn Abercorn also meint, dass ich ihn einfach so davonkommen lasse, dann hat er sich gehörig geschnitten.
Genau in diesem Moment hörte sie im angrenzenden Schlafzimmer leise Geräusche. Entschlossen straffte Lu die Schultern und wollte James sofort, wenn er die Tür öffnete, zur Rede stellen. Aufmerksam beobachtete sie, wie langsam der Türknauf gedreht und die Tür geöffnet wurde und Molly hereingetreten kam, in den Händen das Tablett mit Lus Abendessen. Mit ihr hatte Lu nun am allerwenigsten gerechnet. Sie fühlte sich, als ob man ihr mit einem Mal wieder sämtlichen Wind aus den Segeln genommen hätte.
Vorsichtig setzte Molly das Tablett ab und legte einen frischen Stapel Bettlaken auf Lus Sekretär. »Ich habe Euch saubere Laken gebracht, Mylady. Aber wie es aussieht, habt Ihr Euer Bett bereits selbst gemacht.«
»Ja. Danke, Molly. Ich werde die frischen Laken morgen aufziehen.« Mit einem knappen Nicken deutete Lu aufs Nebenzimmer. »Ist Abercorn da drin?«
»Ja, Mylady.« Molly zögerte. »Und Seine Lordschaft lässt Euch eine Einladung zukommen.«
»Eine Einladung?«
Molly senkte verlegen den Blick. »Ja. Er sagte ... wenn Ihr bereit wärt, ihn um Vergebung zu bitten, dann wäre er bereit... Euch zuzuhören.«
Louisa schnappte entrüstet nach Luft. »Na, wenn das so ist!«, schnaufte sie. »Dann richte Seiner Lordschaft doch bitte aus, dass er sich noch knappe einhundert Jahre wird gedulden müssen, bis ich ihn um Vergebung bitte.« Entschlossen stemmte sie die Hände in die Hüften. »Und bitte achte darauf, die Tür auch wieder gut abzuschließen. Ich kann sonst leider nicht für die Sicherheit Seiner Lordschaft garantieren. Schließlich bin ich geisteskrank, von Sinnen, wie Lord Abercorn selbst sagte. Und so wie ich die Sache sehe, wird es wohl auch noch geraume Zeit dauern, bis ich wieder bei klarem Verstand bin.«
Schweigend zog Molly sich zurück und schloss leise die Tür hinter sich.
Rasch schlich Lu ihr hinterher und legte ein Ohr ans Türblatt. »Es tut mir leid, Mylord«, hörte sie Molly sagen. »Aber Lady Abercorn meint -«
»Ja, ich habe gehört, was Lady Abercorn gesagt hat. Danke, Molly. Das wäre dann alles.«
Oh nein, das ist noch lange nicht alles!, schimpfte Lu im Stillen. Du wirst noch einen gehörigen Nachschlag erhalten.
Wütend zog sie einen Stuhl heran und machte sich daran, ihr Abendessen zu verspeisen. Als sie schließlich auch den letzten Krümel vertilgt hatte, rieb sie sich einmal genüsslich über den Bauch. »Ah, das war gut«, seufzte sie leise. »Ich muss der Köchin unbedingt mein Kompliment aussprechen.«
Eine gute Stunde vor Sonnenaufgang riss Louisa die Laken von ihrem Bett und trug sie zum Fenster hinüber. Auch den frischen Stapel Bettwäsche, den Molly ihr am Vorabend gebracht hatte, nahm sie mit und knotete die Laken dann eines nach dem anderen sorgfältig aneinander. Das Ende des so entstandenen Seils befestigte sie an einem der schweren Bettpfosten.
Rasch legte sie ihren Unterrock ab und kletterte, nur noch mit ihrer Korsage und ihrem gerüschten Schlüpfer bekleidet, auf die Fensterbank. Sie atmete einmal tief durch, nahm all ihren Mut zusammen und machte sich dann langsam und vorsichtig an den Abstieg. Solange ich nicht nach unten schaue, wird bestimmt alles glattgehen, machte sie sich selber Mut. Zumal ihr Selbstvertrauen durch ihr Verlangen nach Rache nur noch zusätzlich befeuert
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