Symphonie der Herzen
aus, als von oben betrachtet, überlegte er. Das ist bestimmt nicht ohne Blessuren vonstattengegangen. Meine Güte, was ist, wenn sie sich vielleicht sogar ernsthaft verletzt hat und sich nun blutend oder mit gebrochenen Gliedern irgendwo ins Gebüsch verkrochen hat? Seine Selbstvorwürfe kannten keine Grenzen. Das Ganze ist allein meine Schuld! Ich hätte sie niemals dort oben einschließen dürfen. Ich hätte mir eigentlich denken können, welchen Freiheitsdrang Louisa entwickelt, wenn man versucht, ihr Zügel anzulegen. Wer genügend Mumm besitzt, um im Covent Garden Theatre auf der Bühne zu stehen, der besitzt auch den Mut, sich ein paar Bettlaken aneinanderzuknoten und dann einfach aus dem Fenster zu klettern - sogar, wenn es das erste Obergeschoss über dem Ballsaal ist.
Wie von Sinnen rannte James zu den Ställen hinab und befahl den Reitknechten und Stallburschen, schleunigst Barons Court nach seiner Frau abzusuchen. »Sie könnte verletzt sein«, warnte er sie. »Und wenn Ihr den Park abgesucht habt, macht Euch daran, auch den Wald zu durchkämmen.« Er selbst eilte unterdessen zu den Koppeln hinab, wo ein paar Pferde friedlich grasten. Doch obwohl er auch die Unterstände der Tiere akribisch durchsuchte, war Louisa nirgends zu entdecken; auch die Stallburschen hatten mit ihrer Suche keinen Erfolg.
Mit schwerem Herzen kehrte er zurück ins Haus, um Mrs Connelly und die Hausangestellten zu sich zu rufen; »Bisher hat niemand auch nur die blasseste Ahnung, wo Lady Abercorn stecken könnte. Wärt Ihr nun bitte so freundlich, auch das Herrenhaus von oben bis unten nach ihr abzusuchen? Das Haus hat so viele Zimmer ... Sie könnte quasi überall stecken.«
Zwei Stunden später versammelten sich die Angestellten wieder in der Rotunde, doch niemand hatte irgendeinen Erfolg zu vermelden. Es war, als hätte Lady Abercorn sich einfach in Luft aufgelöst.
»Ich danke Euch allen für Eure Hilfe«, seufzte James schließlich. Sein Gesichtsausdruck war grimmig, und seine einst optimistische Stimmung war auf dem Tiefpunkt angelangt. Schweigend kehrte er zurück in die große Empfangshalle, wo er nachdenklich den Kopf gegen die dunkle Eichenholzummantelung des alten Kamins legte. Louisa hat mich verlassen!, klagte er im Geiste. Sie befindet sich bestimmt längst auf dem Weg nach England. Und dabei hat sie doch weder Kleider am Leib noch Geld in der Tasche! Aber auch davon lässt eine Frau wie Lu sich bestimmt nicht aufhalten. Vielleicht hat sie Rowan Maloney einen kurzen Besuch abgestattet, um sich von ihm etwas Geld für die Reise zu borgen.
Plötzlich marschierte einer der Lakaien an ihm vorbei. »He!«, rief Abercorn ihn zu sich. »Schick bitte einen der Pferdeknechte nach Omagh. Er soll sich dort erkundigen, ob Rowan Maloney irgendetwas von Lady Abercorn gehört hat. Danke.«
Tieftraurig starrte er dem jungen Burschen hinterher. Wer weiß, wie lange es schon her ist, seit Lu aus dem Fenster geklettert ist? Vielleicht ist sie ja schon letzte Nacht geflohen? Gütiger Gott, ich liebe sie so sehr. Ich kann den Gedanken, sie zu verlieren, einfach nicht ertragen. Dann aber erwachte sein Kampfesmut plötzlich wieder. Also gut!, dachte James. Wenn diese störrische kleine Hexe wieder zurück zu ihren Eltern nach Woburn Abbey gefahren ist, dann bleibt mir keine andere Wahl, als ihr hinterherzureisen und sie wieder nach Hause zu holen - nach Irland, wo sie hingehört! Plötzlich aber zuckte er erschrocken zusammen. Was, wenn sie sich weigert mitzukommen? Fest biss er die Zähne zusammen und ballte die Fäuste. Nun, dann werde ich sie notfalls an den Haaren hierherschleifen!
29
Natürlich entging auch Louisa nicht das Chaos, das plötzlich ausbrach, als James und so ziemlich jeder verfügbare Diener auf Barons Court plötzlich ausschwärmten, um nach der Herrin des Hauses zu suchen. Doch sie verhielt sich weiterhin mucksmäuschenstill, verließ verschmitzt lächelnd das Gästeapartment, huschte ins Hauptschlafzimmer hinüber und schloss vorsichtig die Tür hinter sich.
Innerlich schwelgte Lu bereits in der Vorfreude auf die Auseinandersetzung, die zweifellos anstehen würde, wenn James sie endlich wiederfände.
Neugierig blickte sie sich im Schlafzimmer um und entdeckte zu ihrer Freude James’ Frühstückstablett; er hatte es überhaupt nicht angerührt. Genießerisch ließ Lu sich sein Frühstück munden und seufzte einmal voller Wohlbehagen, nachdem sie ihr Mahl beendet hatte. Anschließend verrichtete sie an James’
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