Symphonie der Herzen
Ehemann auch keinerlei Status und kein Zuhause hast?«
Lu überlief ein Schauder, als sie wieder an diesen Traum zurückdachte, den sie kürzlich gehabt hatte und in dem sie plötzlich heimatlos gewesen war. Trotzdem straffte sie die Schultern und widersprach: »Und du hast offenbar vergessen, wie oft Mutter sich schon über Großmama beschwert hat. Großmama kannte offenbar nur ein Ziel: Ihre Töchter so gut wie irgend möglich zu verheiraten. Tatsächlich war sie sogar regelrecht besessen von diesem Gedanken. Mutter jedenfalls sagt immer, dass Geld und Titel vollkommen unwichtig sind. Stattdessen hat sie uns schon mehrfach ermutigt, allein aus Liebe zu heiraten.«
»Aber, Lu, ich bitte dich. Gib dich doch nicht dümmer, als du bist. Natürlich sagt Mutter, dass Geld und Titel keine Rolle spielen. Aber das meint sie doch nicht wirklich so. Schau dir lieber mal die Fakten an. Und ich meine, du kennst doch die Geschichte der Gordon-Schwestern! Sie alle haben reiche, mächtige Männer mit altehrwürdigen Titeln geheiratet. Und genau dieses Ziel wollte auch Mutter, die Jüngste aus dem Kreise ihrer Schwestern, gerne erreichen. Sie war schließlich sehr ehrgeizig. Und wie sich zeigte, hatte sie auch schon sehr bald Erfolg und schaffte es, sich den Herzog von Bedford - den Ältesten der Bedford-Brüder - zu angeln. Nur dass Francis Russell dann leider bald darauf verstarb. Und dennoch verlor Mutter nicht den Mut sondern setzte alles daran, trotzdem die Herzogin von Bedford zu werden, nämlich indem sie sich statt Francis Russell einfach dessen nächstältesten Bruder, unseren Vater, schnappte. Auf diese Weise behielt sie den angestrebten Status, den Reichtum, Woburn Abbey und, last but noch least, den Titel.«
Louisa konnte kaum glauben, was ihre Schwester da gerade sagte, und schrie empört: »Sie hat Vater allein aus Liebe geheiratet!«
»Aber sicher doch«, witzelte Georgy und lachte.
4
Du hast dich aber herausgeputzt«, staunte Lu am nächsten Morgen, als sie sah, dass ihre Schwester eines ihrer besten Kleider angezogen hatte.
»Aber natürlich! Hast du denn vergessen, dass schon bald die Hollands und die Greys hier eintreffen werden? Ich möchte bei den beiden Elternpaaren einen so guten Eindruck wie nur irgend möglich machen.«
Und Georgy lag ganz richtig mit ihrer Vermutung, denn bereits kurz nach dem Frühstück trafen Lord und Lady Holland in Woburn Abbey ein, und eine knappe Stunde später folgten der Graf und die Gräfin Grey. Fröhlich bat die Herzogin von Bedford die vier in den Blauen Salon, auf dass die stolzen Eltern Zeit und Muße fänden, endlich einmal wieder ein paar entspannte Stunden mit ihren Söhnen zu verbringen.
Wütend beobachtete Louisa, wie Graf Grey und Lord Holland um Georgina herumschwarwenzelten und sich offenbar alle Mühe gaben, einander mit dummen Komplimenten und peinlichen Flirtversuchen gegenseitig zu übertreffen. Die benehmen sich gerade so, als wollten sie um Mutter werben!, empörte Lu sich im Stillen. Wie gerne hätte sie die Teegesellschaft einfach wieder verlassen. Doch sie musste sich noch gedulden, bis auch ihre Brüder Edward und Charles hinzukamen, um sich unter die Schar der Gäste zu mischen, ehe sie endlich die Gunst des Augenblicks nutzen konnte und unbemerkt aus dem Salon verschwand.
Langsam schlenderte sie hinab zu den Hundezwingern, wo ihr Bruder Jack gerade seine Meute begutachtete. Kaum dass die Tiere ihn sahen, nahm ihr sonst schon recht lautes Gebell mit einem Mal geradezu ohrenbetäubende Ausmaße an. »Sie haben dich vermisst«, schmunzelte Louisa.
»Und ich habe sie vermisst«, lachte Jack und öffnete das Tor, woraufhin ein halbes Dutzend Jagdhunde und ebenso viele Gordon Setters ihn hektisch umkreisten, an ihm hochsprangen und dabei wie wild mit den Schwänzen wedelten. »Sie wollen offenbar beschäftigt werden. Komm, Lu, und hilf mir, ein paar Stöckchen zu finden.«
Gut gelaunt schloss Lu sich dem Spiel an und freute sich zu sehen, dass auch ihr Bruder Spaß hatte. Denn obgleich er bereits einundzwanzig war, war er im Herzen ein kleiner Junge geblieben, der sich noch immer für seine Hunde begeistern konnte, und so lachte auch Lu aus vollem Halse, während Jack sich unter die Meute mischte, die Hunde jagte oder sich wiederum von ihnen jagen ließ.
Mit einem Mal nahm Jacks ohnehin schon gerötetes Gesicht eine beängstigend intensive Farbe an, und der Schweiß rann ihm förmlich die Wangen hinab. »Da, sieh mal, sie haben eine Fährte
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