Symphonie der Herzen
Herbal , einem mehr als zweihundert Jahre alten Werk über die botanische Welt Englands, das eine Unmenge an Informationen bereithielt. Begeistert ließ Lu sich mit dem Buch auf den Boden sinken, suchte nach der Roten Betonie und fand sie schließlich, woraufhin sie sich aufmerksam die purpurroten Blüten ansah und die lange und detaillierte Beschreibung las. Während ihrer Lektüre konnte sie sich allerdings das eine oder andere Lächeln nicht verkneifen, denn die Ausdrucksweise war doch schon sehr gestelzt und altertümlich: Vorkommen - Sie wächst zumeist im Gehölz und liebt es schattig. Zeit - Ihre Blüte treibt im Mai, wonach ihre kostbare Saat reift; die prächtigste Farbe jedoch zeigt sie im Juli.
Hoch konzentriert fuhr Louisa mit dem Finger die Liste mit den Eigenschaften und Wirkungsbereichen der Roten Betonie hinab. Ah, da haben wir’s ja!, triumphierte sie schließlich und las:
Sowohl das Blattwerk als auch die Wurzel und die Blüte helfen - mit ein wenig Malzgebräu eingenommen - gegen Fallsucht und schmerzhafte Krämpfe. Außerdem ist ihre Einnahme angeraten, um die Wunden des Fallens zu kurieren. Die Wurzel schmeckt bitter; die Blätter und die Blüten hingegen sind süß und würzig und schmeicheln dem Gaumen auf gar angenehme Art.
Louisa wollte sich gerade wieder erheben und das Buch mitnehmen, als sie plötzlich unten in der Bibliothek Stimmen hörte. Der brummige Bass, das war ihr sofort klar, konnte nur ihrem Vater gehören. Und der etwas mildere Bariton - ja, das war zweifellos James Hamilton. Mucksmäuschenstill blieb sie auf ihrem Platz sitzen und beschloss, sich noch nicht zu erkennen zu geben, sondern stattdessen lieber ein wenig zu lauschen, was die beiden wohl miteinander zu bereden hatten.
»Scheint ganz so, als ob wir so manche Gemeinsamkeit hätten, mein lieber James«, dröhnte ihr Vater. »Auch ich habe bereits in jungen Jahren meinen Vater verloren. Ich war damals noch nicht einmal drei Jahre alt, und mein Großvater verstarb wenige Jahre später. Ich fühle mit Euch.«
»Ja, das ist in der Tat eine betrübliche Gemeinsamkeit. Was mich betrifft, so kann ich mich an meinen Vater überhaupt nicht mehr erinnern. Meinen Großvater dagegen habe ich sehr geliebt. Als meine Mutter erneut heiratete, holte er mich zu sich nach Stanmore Priory. Er hielt nicht sonderlich viel von seinem neuen Schwiegersohn.«
»War nicht Abercorns Tochter, Catherine, Aberdeens erste Frau?«
»Ja, das ist richtig. Überhaupt sind die familiären Verquickungen ein wenig kompliziert. Mein Vater und Aberdeens erste Frau waren Geschwister. Folglich hat meine Mutter, als ihr erster Mann verstarb, quasi ihren Schwager geheiratet. Es war eine reine Zweckehe, mehr nicht, denn sowohl meine Mutter als auch Aberdeen standen nach dem Tod ihrer ersten Ehepartner plötzlich jeder mit zwei kleinen Kindern da. Trotzdem hatte mein Großvater meiner Mutter von der Heirat abgeraten, und leider behielt er mit seinen Befürchtungen Recht. Denn die Ehe nahm schon kurz nach der Hochzeit eine sehr unschöne Wendung.«
»Und als dann schließlich auch Euer Großvater starb, wart Ihr gezwungen, wieder zu Eurem Stiefvater zurückzukehren. Das ist Euch sicherlich nicht leichtgefallen.«
»Tatsächlich war ich am Boden zerstört«, gestand James leise ein. »Aber schon bald, im Januar, werde ich einundzwanzig, und dann stehe ich endlich nicht mehr unter der Vormundschaft von Aberdeen. Gottlob habe ich die Güter meines Großvaters in Irland geerbt und natürlich seinen Titel. Damit bin ich unabhängig und kann für mich selbst sorgen, statt dass ich noch weiterhin meinen Stiefvater um Unterstützung bitten müsste.«
»Noch so ein Punkt, der uns beide verbindet, James. Denn auch ich liebe Irland sehr.«
»Ein ganz wundervolles Land. Und ich habe mir Euch sogar als Vorbild genommen, Euer Hoheit. Ich weiß, dass Ihr einst als offizieller Vertreter der Krone in Irland gedient habt, und auch ich möchte diese Stelle irgendwann einmal bekleiden. Zudem ist es mein erklärtes Ziel, am Ende meiner Karriere Vizekönig von Irland zu sein.«
»Bravo! Da habt Ihr einen wirklich ehrenwerten Entschluss gefasst.«
»Ich freue mich schon jetzt darauf, endlich meinen Platz im
Oberhaus einnehmen zu dürfen, wenn ich im Januar volljährig werde.«
»Ganz vorzüglich, wie gesagt. Ich muss mir unbedingt notieren, dass ich Euch bei Gelegenheit zu einer Eurer Parlamentssitzungen begleite.«
Louisa war ehrlich verblüfft darüber, wie schnell ihr
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