Symphonie der Herzen
die Rote Betonie gerade in voller Blüte. Was haltet Ihr davon, wenn wir einen kurzen Spaziergang durch den Wald unternehmen und sehen, ob wir ein paar von den Pflanzen finden?«
Lu schluckte einmal trocken. Wenn sie sich jetzt weigerte, mit ihm zu gehen, dann glaubte er bestimmt, sie fände ihn so wahnsinnig anziehend, dass sie sich bereits vor ihm fürchtete. So viel Selbstüberschätzung konnte sie ihm auf gar keinen Fall durchgehen lassen, und so erwiderte sie betont kühl: »Das wäre überaus hilfsbereit von Euch. Wartet einen Moment, dann hole ich rasch das Messer aus der Destillationskammer.«
Wenig später marschierten sie auch schon Seite an Seite durch den Ziergarten und über die riesige Rasenfläche von Woburn Abbey, bis sie schließlich beinahe den Wald erreicht hatten. Lu war unterdessen angestrengt bemüht, die Unterhaltung so unpersönlich wie möglich zu halten.
»Und wie heißt Euer Anwesen? Das in Irland, meine ich.«
»Barons Court. Es liegt in der Grafschaft Tyrone. Der eigentliche Burgturm stammt noch aus dem Mittelalter, aber mein Großvater hat zu Lebzeiten noch eine ganze Reihe von modernen Nebengebäuden anfügen lassen.«
Louisa war überrascht zu erfahren, dass James nicht nur einige landwirtschaftliche Güter, sondern auch noch eine Burg gehörten. »Das ist ja interessant. Und wie ist Irland so? Ist es mehr wie England oder mehr wie Schottland? Oder eine Mischung aus beidem?«
»Weder noch. Irland ist einzigartig. England ist ja zum überwiegenden Teil sehr geordnet und zivilisiert, wohingegen Schottland eher wild und ungezähmt ist. Und Irland - nun, Irland hat seinen ganz eigenen Charme. Auf meinem Anwesen, zum Beispiel, gibt es verschiedene miteinander verbundene Seen, in denen es vor lauter Lachsen, Forellen und Hechten nur so wimmelt. Und überhaupt ist Irland von der Nordspitze bis hinunter in den Süden wunderbar saftig und grün. Für einen Naturliebhaber ist die Insel ein echtes Paradies, voller alter Bäume und Wildblumen, die wiederum Myriaden von Schmetterlingen und Vögeln anlocken.«
»Klingt wie nach einem Land aus einem Märchen. Kein Wunder, dass die folkloristischen Traditionen in Irland noch so lebendig sind.«
»Dann habt Ihr also bereits von den Kobolden dort gehört?« James grinste. »Und von den Elfen und Gnomen und den kleinen Wichten? Sagt, glaubt Ihr an Übernatürliches, Mylady?«
»Vielleicht. Vielleicht nicht. Ich kenne diese sagenhaften Erscheinungen ja eigentlich nur aus den Stücken von Shakespeare. Beispielsweise aus dem Mittsommernachtstraum -«
»- oder aus dem Sturm! Ich denke da nur einmal an diesen zauberhaften kleinen Ariel«, unterbrach James sie begeistert und zitierte: »Wo die Biene trinkt, dort trink auch ich. Verstecke mich im Blütenkelch -«
»- wenn die Eulen schreien«, setzte Louisa den Vers spontan fort. »Reite auf dem Rücken der Fledermaus dem Sommer hinterdrein.« Verdammt! Mit einem Mal verblasste ihr Lächeln wieder.
Da hat er mich doch tatsächlich dazu verleitet, gemeinsam mit ihm Shakespeare zu zitieren. Wie konnte ich nur so schnell in seine Falle tappen? Ich muss unbedingt aufpassen, dass er mich mit seinem Charme nicht bald ganz einlullt. Verwirrt entfernte Louisa sich ein Stück von ihm und suchte im Unterholz nach Betonien.
»Ihr sucht schon hier?« Erstaunt blickte James Louisa an. »Nun ja, ich schätze mal, wir müssen noch ein wenig tiefer in den Wald hinein. Die Betonie liebt es schattig.« Er verließ den Wanderpfad und strebte auf jenen Teil des Waldes zu, wo die Bäume so dicht zusammenstanden, dass kaum noch Licht durch das Blattwerk drang. Misstrauisch blickte Louisa ihm nach.
»Suchet, so werdet Ihr finden!«, rief James ihr kurz darauf auch schon frohgemut zu und zückte sein Taschenmesser. Vorsichtig ging er in die Hocke, um die ersten Betonien zu schneiden.
Nun wagte auch Lu sich in das dichtere Gehölz vor, stellte ihren Korb auf den Boden, zog ebenfalls ihr Messer und hockte sich gleich neben das dicke Betonienpolster. »Sie stehen in voller Blüte«, staunte sie. »Genau wie Culpeper es beschrieben hat. Lasst uns aber nur die Blätter, die Stängel und die Blüten mitnehmen. Nicht die bitteren Wurzeln.«
Im Handumdrehen hatten sie ihr Körbchen randvoll gefüllt und erhoben sich wieder. »Ich werde sie gleich mit in die Destillationskammer nehmen und noch vor dem Abendessen einen Absud daraus bereiten. Am besten sogar, ich nehme dazu Culpepers Rezept.«
»Jack kann sich freuen, eine so
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