Symphonie der Herzen
sich soeben einen kleinen Rebhuhnflügel auflegen lassen und kaum mehr als ein paar Bissen von seinem selbst erlegten Tier genossen, als er mit einem Mal überrascht die opulente Livree des Boten zur Kenntnis nahm, die ihn als Kurier des Königs auswies.
Der Mann vollführte eine formvollendete Verbeugung vor dem Herzog und reichte ihm ein Sendschreiben. Mit einer raschen Bewegung öffnete Clarence den Brief, und sein Gesicht, das sonst von einer ausgesprochen gesunden Farbe war, wurde plötzlich aschfahl.
John Russell spürte sofort, dass sich irgendetwas Tragisches ereignet hatte, und musterte betrübt seinen alten Freund. »Schlechte Neuigkeiten, lieber William, nicht wahr?«, hakte er vorsichtig nach.
»Das kann man wohl sagen.« Der Herzog zögerte. »Mein Bruder - der König - hat einen Schlaganfall erlitten. Es steht nicht gut um ihn. Er hat mir befohlen, umgehend nach Schloss Windsor zurückzukehren.«
»Um Gottes willen!«, seufzte Prinzessin Adelaide. »Wir müssen sofort unsere Koffer packen und wieder abreisen. Wie sollen wir nur so schnell -« Hilflos rang sie die Hände.
Sogleich wies John Russell Jack an, Williams und Adelaides Kutsche anspannen zu lassen.
»Meine Zofen werden Euch schon helfen, meine Liebe. Macht Euch darum mal keine Sorgen«, versuchte unterdessen auch Georgina, ihre Freundin wieder etwas zu beruhigen. »Und was die Rebhühner betrifft: Ich lasse Euch einfach ein paar leckere Häppchen davon einpacken. Als Proviant für die Reise.«
Nachdem Georgina ihre Diener und ihre Töchter instruiert hatte, wer dem Herzog und der Herzogin nun auf welche Art behilflich sein sollte, nahm sie den königlichen Boten kurzerhand mit in die Küche, wo sie ihm erst einmal einen gut gefüllten Teller vorsetzen ließ sowie einen ordentlichen Humpen Ale. Als Nächstes setzte sie sich einfach neben ihn und horchte ihn - ganz unauffällig, natürlich - ein wenig aus. Georgina hatte sich nämlich von jeher gerühmt, dass sie in der Lage sei, jedem männlichen Wesen auf Gottes weiter Erde die Zunge zu lösen, und stellte somit wieder einmal ihr Geschick als stilvolle Charmeurin unter Beweis.
»Es muss äußerst unangenehm sein, wenn man dazu ausgewählt wird, dem Herzog von Clarence diese schreckliche Nachricht zu überbringen. Andererseits überträgt man derlei Aufgaben ja nicht irgendwem, sondern nur denen, die man auch für wirklich vertrauenswürdig hält.« Sie schwieg einen Moment. »Der König - der gute Prinny - und ich sind schon unser ganzes Leben lang eng miteinander befreundet. Meint Ihr, dass er sich wohl jemals wieder von diesem schrecklichen Schlaganfall erholen wird?«
Laut schmatzend leerte der Bote seinen Humpen und beugte sich dann mit gewichtiger Miene zu der Herzogin hinüber: »Wenn Ihr mich fragt, Euer Hoheit, so fürchte ich, dass das unter den gegebenen Umständen höchst unwahrscheinlich ist.«
Großzügig schenkte Georgina ihm noch einmal nach und legte ihm ein weiteres gegrilltes Rebhühnchen auf. »Esst, mein Lieber, und stärkt Euch ordentlich. Es könnte die letzte Mahlzeit für Euch an diesem Tage sein.«
Anschließend ging Georgina ohne Umwege zu ihrem Mann und erklärte: »Ich glaube, der gute George ist bereits tot. Der Kurier hat so etwas angedeutet.«
»Wenn das so ist, dann dürfen wir uns wohl gerade doppelt geschmeichelt fühlen: Schließlich haben wir hier nicht nur den Herzog und die Herzogin von Clarence zu Gast, sondern damit zugleich auch den neuen König und die neue Königin von England.«
Ganz diskret informierte Georgina auch ihre Kinder und ihre Gäste über den betrüblichen Vorfall und dessen logische Konsequenzen, sodass man sich, als der Herzog und die Herzogin die Treppe herunterkamen, bereits geschlossen in der Halle versammelt hatte und ehrerbietig in eine tiefe Verbeugung sank, um den beiden, dem neuen Königspaar, einen gebührenden Abschied zu bereiten.
Eine knappe Stunde später hatten der Herzog von Bedford, Lord John und Graf Grey sich auch schon in der Bibliothek zusammengefunden und diskutierten eifrig die neue politische Lage.
»Wenn wir davon ausgehen dürfen, dass das, was wir soeben vernommen haben, der Wahrheit entspricht, dann stehen schon in Kürze Neuwahlen an.«
Lord John nickte bedächtig. »Womit sich uns die historische Chance bietet, endlich die Whigs an die Macht zu bringen.«
»Bislang waren wir Wellington und den Torys ja durchaus wohlgesonnen«, stimmte Graf Grey zu, der seinem Land bereits seit seinem
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