Symphonie des Lebens
Donani zu belasten.
»Warum ist London gut?« fragte Pietro Bombalo ahnungsvoll.
»Wenn meine Frau zurückkommt, kann ich mit ihr zwei Tage hinauf nach Schottland fahren. Aufs Hochland, Bombalo. Die gesunde Luft wird ihr guttun nach den vielen Aufregungen.«
»Unmöglich.« Bombalo starrte auf seinen Terminplan. »Von London fahren wir nach Birmingham zu den Festspielen.«
»Na und?«
»Die Proben –«
»Ich werde mit einer Verständigungsprobe auskommen. Sagen Sie das jetzt schon in Birmingham.«
Pietro Bombalo fuhr sich mit beiden Händen in die schwarzen, gekräuselten, leicht melierten Haare. Seit fünf Jahren, in denen er der Impresario Donanis war, vollführte er diese theatralischen Bewegungen. Donani kannte sie auswendig und wußte im voraus, wie Bombalos Verzweiflung aussehen würde, aber immer wieder bewunderte er den kleinen, dicken Italiener, mit welcher Intensität er seinen inneren Zusammenbruch glaubwürdig spielen konnte.
»Ich werde wahnsinnig!« stöhnte Bombalo. »Ha … ich merke es … mein Gehirn brennt … meine Zunge wird ganz schwer … ich taumele … Maestro, Sie haben mich auf dem Gewissen, Sie töten mich! Oh!« Er setzte sich auf den Stuhl und stützte den Kopf in beide Hände, ein Bild des Jammers. »Einen Tag Schottland, Maestro … das geht. Einen Tag –«
»Zwei, Bombalo! Basta!« Donani lachte. Aber ebenso plötzlich wurde er wieder ernst und legte Bombalo die Hand auf den Arm. Der Impresario zuckte zusammen.
»Haben Sie nicht gesehen, wie nervös meine Frau in der letzten Zeit ist?« fragte Donani. Bombalo hob die Schultern.
»Frauen sind wie Chamäleons … man weiß nie, wie sie in der nächsten Minute aussehen. Die meisten nennen das interessant … mich belastet so etwas nur.«
»Carola hatte nie Launen, das wissen Sie, Bombalo. Aber seit ein paar Monaten beobachte ich bei ihr eine Wandlung. Ich habe nie darüber gesprochen … aber ich glaube, sie fühlt sich nicht wohl.«
»Sie sollte wieder ein Bambino haben«, sagte Bombalo sachverständig. Donani erhob sich. »War doch nur ein Scherz, Maestro!« rief der Impresario und sprang auch auf. »Gut, ich sage in Birmingham Bescheid. Aber ich warne Sie, Maestro. Bis heute galt Bernd Donani als der zuverlässigste Dirigent, der nie eine Laune hatte, keine Starallüren, keine Skandale. Donani war ein Gott der Musik … geben Sie zu, ich habe das gemacht. Ich, Pietro Bombalo. Bitte, bitte fangen Sie jetzt nicht an, so zu sein, wie Sie es sich leisten könnten. Bleiben Sie so, wie Sie sind … leben Sie nur der Musik.«
»Ich muß mich um Carola mehr kümmern, Bombalo.«
»Und die Musik? Auf Kosten der Kunst?«
»Irgendwo muß ich die Zeit dazu hernehmen –«
»Aber nicht von der Kunst! Unmöglich!« Bombalo hob beide Arme beschwörend gegen die Decke. Donani blieb an der Tür stehen.
»Was soll ich sonst tun? Wissen Sie einen Rat?«
»Die Kunst ist das Höchste, Maestro! Entweder man lebt ganz für sie und in ihr, oder man verzichtet auf sie. Sie dürfen nicht verzichten, Maestro … Sie gehören nicht mehr allein Ihrer Frau, sondern den Millionen Menschen, denen Sie Glück und Ergriffenheit schenken. Wenn es nicht anders geht – lassen Sie sich scheiden …«
»Sie sind verrückt, Bombalo!« Donani öffnete die Tür. Aber bevor er hinausging, sah er noch einmal zurück. Bombalo stand am Tisch. Er war ehrlich verzweifelt. »Ich liebe meine Frau«, sagte Donani leise. »Und diese Liebe gibt mir Kraft – verstehen Sie das, Bombalo? Wir fahren doch zwei Tage nach Schottland –«
*
Wie Carola es vorausgesagt hatte, geschah es auch: Eine Woche nach der Erkrankung Alwines bekam auch Babette die Masern. Über Nacht wurde sie rotbetupft, hatte 39° Fieber und phantasierte von ihren Puppen und Bären. Erna Graudenz und Carola wechselten sich in den Nachtwachen ab. Den Vorschlag des Arztes, eine Pflegerin einzustellen, lehnte sie ab. »Wozu, Doktor?« fragte sie. »Endlich habe ich eine Aufgabe. Endlich kann ich Mutter sein und mich um meine Kinder kümmern. Bis jetzt hatte ich nur ein großes Kind zu umsorgen, und das merkte es nicht einmal. Ich bin glücklich, nachts an den Bettchen zu sitzen und auf meine Kinder zu sehen …«
Das klang alles sehr bitter und voll unverhüllter Anklagen. Der Arzt schwieg und nahm das Thema Krankenpflegerin nicht wieder auf. Babette war es, die etwas sagte, was Carola tief ins Herz schnitt.
»Wie schön, Mami, daß du bei uns bist«, sagte sie und hielt mit ihren fieberheißen
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