Symphonie des Lebens
Hotelzimmer, der mehr ein Austritt war, sah sie ihn kommen. Er entstieg der Taxe, zahlte und rannte leichtfüßig wie ein junger Mann ins Hotel. Carola trat ins Zimmer zurück und schloß die Balkontür. Einen Augenblick hatte sie das gleiche Gefühl wie vor neun Jahren, jenes seligdumme Jungmädchengefühl, das sie ergriffen hatte, als Bernd Donani vor ihr stand und sie mit seinen strahlenden blauen Augen ansah, als sei sie etwas ganz Kostbares. Damals hatte er gesagt: »Wo die Sprache aufhört, setzt die Musik ein … aber selbst der begnadetste Tonsetzer könnte nicht schildern, was in mir vorgeht …« Sie hatte diesen Satz als den schönsten aller bisherigen Sätze empfunden. Jetzt, in den wenigen Minuten, bis Donani das Zimmer betreten würde, war es wieder so. Aber diese Empfindung war nur mehr ein Wunsch als eine Tatsache … sie war ein Gedanke: Laß uns wieder jung sein, Bernd … laß uns so lieben wie damals … ich habe mich nicht geändert, ich bin im Herzen das kleine Goldengelchen von damals geblieben. Ich sehne mich so nach dir –
Die Tür sprang auf, Donani kam herein. Er breitete die Arme aus, zog Carola an sich, küßte sie auf die Stirn und seufzte tief auf.
»Mein Goldkind, wie schön, daß du gekommen bist!« sagte er laut. »War das eine Probe! Als ob der Teufel in den Celli säße.« Er sah sich um und streichelte dabei ihre Haare. »Weißt du, ob hier irgendwo Milch zurechtgestellt ist?«
Die Probe. Die Celli. Milch.
Die Illusion des Glückes löste sich auf. Der Jungmädchentraum stürzte zusammen. Vier Wochen … oder vier Jahre Trennung … es blieb alles, wie es war. Es hatte keinen Sinn mehr zu hoffen, es war Kraftverschwendung, auf etwas anderes zu warten als auf die Angewohnheit des großen Donani, nach den Proben und dem Konzert ein Glas kalte Milch zu trinken. Es war einfach alles sinnlos, völlig sinnlos –
»Ich weiß nicht, Bernd.« Carola löste sich aus seinen Armen. Er hat weder das Kleid bemerkt noch die Frisur, dachte sie. Er hat nur bemerkt, daß ich wieder da bin. Ob er überhaupt nach den Kindern fragt?
Donani tat es tatsächlich. Er riß sich den Schlips vom Kragen und warf den Rock über die Lehne des Stuhles.
»Alwine und Babette geht es gut, wie ich höre?«
»Ja. Von wem hörst du das denn?« Ihre Stimme war spröde wie gesprungenes Glas. Donani löste die Schnürbänder seiner Schuhe. – Die Schuhe waren neu und drückten.
»Von der Graudenz. Ich habe gestern angerufen.«
»Ach.«
»Sie hat dir nichts davon erzählt?«
»Nein. Sicherlich hast du nicht nach mir gefragt oder mir Grüße bestellt.«
»Ich glaube doch, Engelchen.« Er lachte und faßte nach ihrer schlaffen Hand. »Du siehst blaß aus.«
»Findest du?«
»Ja. Vier Wochen Krankenschwester, das ist für dich eine Schwerarbeit. Aber ich werde dafür sorgen, daß du dich erholst.«
»Ich habe endlich etwas zu tun gehabt.« Carola entzog ihm ihre Hand. »Du behandelst mich, als sei ich aus zerbrechlichstem Porzellan … nur hat das Porzellan noch den Vorteil, daß es ab und zu benutzt wird.« Sie schwieg betroffen ob soviel Frivolität und starrte auf die weißen Haare Donanis. Was wird er jetzt antworten? dachte sie. So habe ich noch nie mit ihm gesprochen.
Bernd Donani antwortete nichts … er lachte nur wieder und zog Carola erneut zu sich. Dieses Mal küßte er sie auf die Lippen, aber sie waren kalt und blieben geschlossen und blühten nicht auf wie unter dem Kuß Jean Leclercs auf der Place de l'Opéra, morgens um 3 Uhr.
»Du siehst, ich kann auch Porzellan anfassen!« rief Donani fast übermütig. »Und heute abend mach dich besonders schön … auch du sollst der Königin vorgestellt werden.« Er küßte Carola noch einmal auf die Augen und wandte sich dann wieder suchend im Zimmer um. »Ist denn wirklich keine Milch da?«
»Ich werde sofort dem Etagenkellner läuten.« Carola ging zur Tür und zum Klingelknopf ›Service‹. Sie hatte den Kopf in den Nacken geworfen und die Lippen fest zusammengepreßt.
Ich werde Leclerc wiedersehen, dachte sie. Ich muß ihn wiedersehen. Auch wenn er jünger ist und aussieht wie ein Straßenjunge. Ganz gleich, was kommt – in dieser Luft hier kann ich nicht mehr atmen –
Sie klingelte und sagte rauh, als der Etagenkellner kam:
»Bitte, die Milch für Herrn Donani … aber kalt, eiskalt –«
Donani saß am Balkonfenster und reckte sich. Er fühlte sich ausgesprochen wohl.
»Du bist so lieb, Engelchen –«, sagte er voller
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