Symphonie des Lebens
fahre ich wieder zu ihm. Es wird unsere letzte Chance sein … seit Jahren waren wir nicht vier Wochen voneinander getrennt, immer waren wir zusammen. Nach diesen vier Wochen wird es sich zeigen, wie er denkt, wie er fühlt … ob er die Kraft hat, den letzten Funken der Erinnerung an eine verbotene Nacht in mir zu löschen, daß ein Nichts übrigbleibt, ein vollkommenes Vergessen …
Sie ging zurück ins Haus und setzte sich an den einsamen Tisch. Sie aß nichts, sie trank nur ein paar Schluck Tee.
Wir wollen es noch einmal versuchen, Bernd, dachte sie, und plötzlich merkte sie, daß sie den Gedanken laut vor sich hinsprach. Schon wegen unserer Kinder –
*
Knapp vier Wochen später fuhr Carola Donani ab. Pietro Bombalo hatte ihr rechtzeitig den neuen Plan zugesandt. Donani hatte wirklich die Route geändert … er war in London statt in Chikago. Dieses bisher nie vorgekommene Ereignis, daß Donani Absagen und Veränderungen herumreichen ließ, löste in Carola die fast überschwengliche Erwartung aus, ihr Leben könne wirklich anders werden.
Um den Kindern und sich selbst den Abschied nicht allzu schwerfallen zu lassen, hatte Erna Graudenz mit Babette und Alwine eine Almhütte bezogen, die Donani als Wintersportplatz gekauft, aber bisher nie bewohnt hatte. Dort sollten die Kinder in der frischen Bergluft sich vollends erholen. Carola griff zu einer Notlüge, als sie Alwine und Babette bis zum Zug begleitete.
»Mami kommt bald nach«, sagte sie. »Seid schön brav, hört ihr? Und wenn wir ganz großes Glück haben, bringt Mami den Papi mit.«
Sie hatte den Jubel der Kinder noch im Ohr, als der Zug längst davongerattert war und sie auf der Straße stand.
Noch drei Stunden, dann sitze ich in dem Flugzeug nach London, dachte sie. Um 16 Uhr lande ich in Croydon … um 20 Uhr dirigiert Bernd Beethoven in der Concert Hall … und ich werde wieder im Künstlerzimmer sitzen, zwischen Blumen und Plastikkästen, schnatternden Reportern und dem aufgeregten Bombalo, der erfundene Anekdoten aus dem Leben des großen Donani erzählt … Und ich werde Jean Leclerc wiedersehen … in der letzten Reihe der ersten Geigen, eine schwarze Locke in der Stirn, schwitzend und mitgerissen von der Hand Donanis … Werde ich ihn ansehen können wie jeden anderen Geiger? Wird er mir so gleichgültig sein, wie er es noch vor sechs Wochen war? Und wie wird er mich ansehen …?
Sie spürte, wie ihr Atem stoßweise ging, wie ihr Puls jagte. Sie hatte Angst.
Angst vor dem ersten Blick zwischen ihr und Jean Leclerc. Und sie wußte, daß sie diesem Blick nicht entrinnen konnte.
*
Bernd Donani empfing seine Frau nicht auf dem Flugplatz Croydon, obwohl sie ihm die Ankunftszeit telegrafiert hatte. Statt seiner stand Pietro Bombalo am Flugfeld und schwenkte seinen Hut.
»Proben, Signora«, sagte er, als Carola nach ihrem Mann fragte. »Es ließ sich nicht vermeiden. Zum Konzert hat sich die königliche Familie angesagt. Donani soll ihr vorgestellt werden … wenn ich daran denke, trifft mich jetzt schon vor Ergriffenheit der Schlag. Wie glücklich müssen Sie sein, Signora, solch einen Mann zu haben –«
Bombalo sagte diesen Satz mit Bedacht. Carola schwieg. Auch der Handkuß einer Königin war nicht so wichtig, ihre Enttäuschung zu glätten. Er probt, dachte sie nur. Nach vier Wochen Trennung steht er vor seinem Orchester und probt. Ich bedeute ihm nichts, gar nichts. Ich bin für ihn ein Besitz wie seine elfenbeinernen Taktstöcke und seine Partiturenbände in Schweinsleder.
Er probt.
Im Hotelzimmer fand sie einen großen Strauß gelber Rosen vor. Zwischen den Blüten stak ein Zettel, von Donani selbst beschrieben.
»Willkommen in London, mein Engelchen.«
Sinnend stand Carola vor dem schönen Rosenstrauß. Sie kannte sich nicht mehr aus. Aber es stimmte sie versöhnlich, daß er sie wenigstens mit Blumen begrüßte. Es war ein Beweis, daß er sich freute über ihre Rückkehr.
Carola zog sich um. Ihre Koffer waren in den vergangenen vier Wochen immer mitgereist. Sie wählte ein weißes, besticktes Abendkleid. Die langen, blonden Haare steckte sie wie zu einer Krone. Im Spiegel bewunderte sie dann ihre eigene Schönheit. Nur die Augen sind traurig, dachte sie. Traurig und ängstlich. Mach, daß beides verschwindet, Bernd … Gib mir das Glück zurück, jung zu sein. Du kannst es … wenn du dich nur ein klein bißchen um mich kümmerst –
Sie wartete, bis Bernd Donani von der Probe zurückkam. Von dem kleinen Balkon vor dem
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