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Symphonie des Lebens

Symphonie des Lebens

Titel: Symphonie des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Seligkeit.
    Das Erwachen, das Hinübergleiten in den Alltag, war wie ein Losreißen aus einem Paradies. Dann spürte sie, innerlich noch mit dem Traum verbunden, daß sie in einem Bett lag, auf dem Rücken, und daß es schwer war, richtig zu atmen und von der Nase aufwärts bis zur Stirn ein dumpfer, lastender Schmerz auf ihrem Gesicht lag.
    Sie hob die Hand und wollte über ihren Kopf tasten … aber eine andere Hand hielt sie fest und drückte sie zur Seite weg.
    »Ganz ruhig liegen …«, sagte die freundliche Stimme von Schwester Anne. »Es stimmt, Sie haben den ganzen Kopf verbunden –«
    In Carola stockte der Herzschlag. Der ganze Kopf, dachte sie. Warum der ganze Kopf …
    »Ist … ist etwas danebengegangen …?« fragte sie heiser.
    »Nein, Madame, aber nein. Es ist alles gut. Dr. Lombard ist sehr zufrieden.« Die Stimme Schwester Annes war beruhigend und sanft. »Sie brauchen sich gar keine Sorgen zu machen.«
    »Aber warum hat man mir auch die Augen verbunden, Schwester?«
    »Dr. Lombard hat in einem Arbeitsgang auch gleich den Augenschnitt und die Lider korrigiert. Die Nasenplastik war sehr einfach –«
    »Und … und wie sehe ich aus?« Carolas Finger krallten sich in das Bettlaken. Jetzt, wo es geschehen war, wo sie das Gesicht der Carola Donani endgültig verloren hatte, überfiel sie die Angst, verstümmelt zu sein.
    »Nicht gut, Madame …«
    »Nicht –«
    »Noch nicht. Aber in vier oder sechs Wochen werden Sie wundervoll aussehen. In vier Tagen nehmen wir Ihnen die Augenbinde ab …« Schwester Anne schien zu lächeln. Sie kannte die Gedanken ihrer Patientinnen, sie waren immer die gleichen. Und deshalb sprach sie auch aus, was Carola sofort unternehmen wollte, wenn die Augenbinde fiel. »Aber einen Spiegel werden Sie nicht eher bekommen, Madame, bis es Dr. Lombard erlaubt. Sie kennen Ihr altes Gesicht … und Sie sollen mit gleicher Freude Ihr neues Gesicht ansehen … das Zwischenstadium ist nicht schön –«
    »Ich werde vier Tage nichts sehen können?«
    »Wenn Sie es wünschen, Madame, lese ich Ihnen alles vor, wofür Sie sich interessieren …« Carola hörte das Rascheln von Zeitungen. Sie wandte den verbundenen Kopf zu Schwester Anne und versuchte, in dem Verband eine kleine Ritze zu finden, durch die sie hindurchsehen konnte. Es war sinnlos … auf ihren Augen lagen dicke Zellstoffpolster.
    »Die neuesten Zeitungen, Madame?«
    »Bitte.«
    »Und was? Mode, Kunst, Erzählungen –«
    »Alles … nur keine Politik. Fangen wir … mit Kunst an …«
    Wieder raschelte die Zeitung. Schwester Anne schlug den kulturellen Teil auf. »Da ist der Bericht von einem Konzert –«, sagte sie. »Es war gestern abend …«
    »Lesen Sie … bitte …« Die Stimme Carolas ertrank in den dicken Verbänden. Das Konzert, dachte sie. Während er sein Orchester dirigierte, starb die Carola Donani wirklich unter einem Chirurgenmesser. Ob Bernd nach dem Konzert sein großes Glas Milch bekommen hat? Wer hat es ihm gebracht? Vielleicht Pietro Bombalo …
    »Es muß ein festliches Konzert gewesen sein«, sagte Schwester Anne. »Der Kritiker ist voll Lob. Haben Sie schon von Bernd Donani gehört, Madame?«
    »Nein –«, sagte Carola leise. »Nie –«
    »Er hat aber auch oft in Deutschland dirigiert.«
    »Ich hatte nie Zeit, ein Konzert zu besuchen.«
    »Dann soll ich etwas anderes vorlesen?«
    »Nein, bitte, lesen Sie die Kritik. Ich möchte hören, was der Kritiker schreibt … es ist eine so … so fremde Welt für mich. Vielleicht werde ich später viele Konzerte besuchen … wer weiß …«
    Schwester Anne räusperte sich und begann, die Kritik vorzulesen. Carola hatte unter dem Verband die Augen geschlossen und zwang sich – während die Worte auf sie niederfielen – anders zu denken, als sie fühlte. Er konnte wieder dirigieren, dachte sie. Er stand da, umgeben vom Glanz, lächelnd und heldisch wie immer, in einem Frack, der wie übergegossen wirkt, die weißen Haare etwas zerwühlt, schon vor dem Konzert, weil es interessant aussieht, künstlerisch dämonisch, spannungsgeladen. Wie sagte Bombalo einmal: »Ein Künstler ist ein Elektrizitätswerk von vielen tausend Volt! Das Publikum muß es spüren, schon wenn er heraustritt … es muß einen elektrischen Schlag bekommen!« Und dann nimmt er den Stab auf, das Orchester sitzt da wie eine Soldatenkompanie vor dem Angriff, er hebt den Kopf, etwas Caesarisches strahlt von ihm aus, er weiß, hinter ihm sitzen zweitausend Menschen, deren Puls schneller

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