Symphonie des Lebens
kam zu ihr aufs Zimmer, in der Hand eine große Mappe mit Fotos und Zeichnungen.
»Bevor wir anfangen, Madame«, sagte er und setzte sich an den Tisch, auf dem noch das Geschirr des Morgenkaffees stand, »müssen wir uns über die gewünschte neue Nasenform im klaren sein. Uns stehen für den südländischen Typ neun Formen zur Verfügung … von der Römernase bis zum süditalienischen Näschen.«
Carola lachte und warf einen Blick auf die Fotos und Zeichnungen.
»Ich überlasse das ganz Ihnen, Doktor«, sagte sie fröhlich.
»Dann bleibt sie so, wie sie ist.«
»Das ist das einzige, was nicht in Frage kommt. Machen Sie aus mir einen Typ à la Carmen …«
»Es ist eine Schande, Madame, wissen Sie das?«
»Wir wissen es beide, Doktor. Und trotzdem.«
»Darf ich noch einmal –«
»Nein!« Carola schüttelte energisch den Kopf. »Ich will etwas vergessen … und das muß endgültig sein –«
»Also dann … in einer Stunde im OP.« Dr. Lombard erhob sich und verließ mit einem Seufzer das Zimmer.
Carola nagte an der Unterlippe und faltete die Morgenzeitung zusammen. Auf der Anzeigenseite war eine umrandete Vorankündigung.
Festkonzert der Pariser Philharmoniker unter der Leitung von Bernd Donani.
Er kann schon wieder dirigieren, dachte sie bitter. So schnell vergißt er mich … Sie spürte einen Schmerz im Inneren und redete sich ein, daß ihr das alles gleichgültig sei.
So wenig habe ich ihm bedeutet, dachte sie und zerknüllte die Zeitung. Aber so war es ja immer … er hat seine Musik, und er hat sein Glas kalte Milch … größer ist seine Welt nie gewesen – Was bedeutet ihm schon seine Frau …?
Schwester Anne kam, um Carola auf die Operation vorzubereiten. Sie mußte einen hochgeschlossenen, weißen Kittel anziehen und die Haare unter einer weißen, eng anliegenden Haube verbergen. Dann wurde ihr Gesicht mit Alkohol gewaschen und die Nase mit einer orangefarbenen Flüssigkeit desinfiziert.
»Jetzt sehen Sie aus wie ein Clown, Madame«, lachte Schwester Anne. Das sagte sie jedesmal, um die Patienten aufzuheitern. Carola lachte nicht, ihr war in diesem Augenblick nicht zum Scherzen zumute. Sie strich mit beiden Händen über ihr Gesicht und nahm Abschied davon.
Über der Tür leuchtete ein rotes Lämpchen auf. Schwester Anne nickte. »Dr. Lombard wartet. Können wir, Madame?«
»Wir können«, sagte Carola fest.
Mit sicheren Schritten betrat sie den OP. Ein chromblitzender Tisch, zwei Ärzte, eine Schwester, ein offener Instrumentenschrank, über dem Tisch ein riesiger Scheinwerfer mit zwölf Birnen, ein Tisch mit Watte, Tupfern, Kompressen, ein Eimer … Sie blieb stehen, als sei sie plötzlich geblendet worden. Dr. Lombard kam langsam auf sie zu.
»Darf ich Ihnen auf den Tisch helfen, Madame –«
Carola nickte stumm. Ihre Stimme war in Angst versunken.
Was tue ich, dachte sie plötzlich. Mein Gott, was tue ich? Ist die Liebe das alles wert?
»Madame –«
Die Stimme Dr. Lombards riß sie herum.
»Ja?«
»Wenn Sie sich zu schwach fühlen …«
»Nein, Doktor.« Sie riß den Kopf hoch. Der alte Trotz brach wieder aus ihr hervor. Sie setzte sich auf den OP-Tisch und ließ sich dann nach hinten auf die Gummiunterlage gleiten. »Ich … ich werde doch nicht vor der größten Stunde meines Lebens kapitulieren … Fangen Sie an!«
Sie schloß die Augen und spürte, wie man ihr ein Tuch über Stirn und Augen legte. Um ihre Handgelenke und Fußfesseln schlossen sich enge Lederschnüre. Dann spürte sie einen Einstich an der Nasenwurzel.
Die Narkose begann.
Es gab keine Carola Donani mehr –
*
Das Erwachen aus der Narkose war wie die Rückkehr aus einem seligen Traum in die Nüchternheit der Wirklichkeit. Carola hatte wirklich einen ersehnten, zukünftigen Teil ihres Lebens geträumt … die Weite des Meeres, ein goldener Strand, wiegende Palmen, weiße Segel gegen azurblauen Himmel, eine Promenade, auf der sie – eine schöne, dunkle Frau von faszinierendem südländischem Reiz und der berühmte Geiger Jean Leclerc – Arm in Arm einherschritten, bewußt ihrer Schönheit und ihres Ruhmes, und die anderen Spaziergänger grüßten sie, blieben stehen und sahen ihnen nach: Das ist er! Das ist sie! Mein Gott – welch ein herrliches Paar!
Es war der Traum einer Jungmädchenverliebtheit, ein jauchzendes Phantasieren voll jugendlicher Schwärmerei … was an Sehnsucht in Carolas Herzen verborgen lag, brach in diesem Narkosetraum mit aller Glut hervor und zauberte Bilder voller
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