Symphonie des Lebens
Jean Leclerc nach dem Weggang Carolas tat, war die Auflösung des Zimmers am Hafen. Er erreichte sogar das Unwahrscheinliche, daß die Wirtin die vorausbezahlte Miete zurückgab, allerdings nur durch die Drohung, der Polizei einen Wink auf diese Absteige zu geben.
»Sie sind ein Schwein, Monsieur«, sagte die Hauswirtin und warf ihm das Geld ins Gesicht. »So etwas wie Sie sollte man wie junge Katzen ersäufen!«
Jean Leclerc lachte sein verführerisches Jungenlachen, ließ eine Taxe kommen und fuhr ab. Als Adresse gab er das Luxushotel ›Atlantic‹ an und stieg vor dem Portal aus dem Wagen wie ein kleiner Fürst. Die Boys rissen die Türen auf, der Chefportier machte einen kleinen Diener. Er brauchte nicht zu fragen, wer da hereinkam, er hatte seine Erfahrung. Wenn jemand mit drei echten Krokodillederkoffern reist, ist es vermessen, lange zu forschen. Es gibt schon im Auftreten und im Gepäck Visitenkarten, die jedes internationale Hotel zu lesen versteht.
Jean Leclerc mietete ein Appartement mit Seeblick und eigener Loggia. Er breitete glücklich die Arme aus, als er in dem großen, hellen Zimmer stand, über das Meer blickte, auf der Sonnenterrasse die Musik eines Tanzorchesters hörte und hinter ihm ein befrackter Kellner den bestellten Whisky mit Eis servierte.
Der Sprung in das große Leben hatte begonnen. Von jeher war es der Traum des kleinen Jean gewesen, einmal mit viel Geld in der Tasche im Leben der Reichen eine Rolle zu spielen. Als Junge hatte er mit heißen Backen im Kino die geträumte Welt betrachtet, als hungernder Musikstudent hatte er in Paris und Berlin in den Semesterferien Geige in den Barkapellen der großen Hotels gespielt … aber auch hier sah er nur den Glanz und erlebte ihn nicht selbst an sich. Er roch den Reichtum, aber er durfte ihn nicht berühren. Für ihn, den Jungen aus dem Hinterhaus der 24. Rue de Joffre in Arles, bedeutete Geld alles. Für ihn war die Erfüllung seines Lebens der Augenblick, in dem er im Kreise von Fräcken und Abendkleidern gleichberechtigt stehen würde, reich wie die anderen und unabhängig von den Launen seiner Umwelt.
Carola hatte ihm 5.000 Francs gegeben. Das war nicht viel, aber Leclerc hatte sich vorgenommen, viel mit ihnen anzufangen. Zwei Monate hatte er Zeit. Carola hatte ihm verboten, sie in der Klinik Dr. Lombards zu besuchen. Er sollte nicht die Geburt der neuen Geliebten erleben … er sollte sie in neuem Glanze geschenkt bekommen. Nur schreiben sollte er und berichten, was er tat.
Zunächst – so entwickelte er seinen Plan – wollte er nichts tun. Er wollte sich stärken für den Durchbruch zu internationalen Erfolgen. Dann, geladen mit Energie, wollte er den besten Impresarios vorspielen. Er war sicher, daß schon der erste ihn unter Vertrag nehmen würde. Mit diesem Vertrag wollte er Carola von der Klinik abholen und ihr sagen: »Sieh dir das an! Nun bist du die Geliebte eines berühmten Mannes –«
Leclerc führte diesen Plan konsequent durch. Drei Tage übte er verbissen und spielte sein Repertoire durch. Er setzte sich dazu in das Badezimmer, um durch seine Fingerübungen nicht seine Appartementnachbarn zum Wahnsinn zu reizen. Immer und immer wieder spielte er die schwierigen Passagen durch, auch die Kadenz von Kreisler, an der er bei Donani gescheitert war. Er kaufte sich Schallplattenaufnahmen seiner berühmten Kollegen, ließ einen Plattenspieler aufs Zimmer kommen und spielte mit Menuhin oder Ricci im Duett. Es klang vorzüglich, und Jean Leclerc war mit sich zufrieden.
Am vierten Tag, als er vom Abendessen aus dem Speisesaal zurück in die riesige Halle kam, sah er die vor wenigen Minuten neu aufgehängten Plakate. Er blieb stehen und preßte die Lippen zusammen.
II. Sinfonie-Konzert
Bernd Donani und die
Pariser Philharmoniker.
Donani kam nach Marseille. Er dirigierte wieder. Er hatte den Schock über den Verlust seiner Frau überwunden.
Einem starken inneren Drang folgend, trat Leclerc an die Rezeption und ließ eine Karte für sich reservieren.
»Nein, nicht die ersten Reihen … möglichst hinten«, sagte er zu dem Chefportier. »Kenner, mein Lieber, sitzen hinten … da schwebt der Klang weit im Raum. Vorne werden sie von dem Schwall der Instrumente eingedeckt und hören keine Feinheiten mehr –«
Später saß er auf der Terrasse und rührte nervös in einem Café creme. Soll ich Carola schreiben, daß Donani in zehn Tagen hier dirigiert? Er verwarf den Gedanken wieder … noch früh genug würde sie mit der
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