Symphonie des Lebens
schlägt und deren Blutdruck steigt … der erste Takt … die erste Stufe zum neuen Triumph.
Ein Dämon, der den Tod seiner Frau weglegte wie eine abgespielte Partitur. Ein Massenmedium, der nach dem donnernden Dank seiner Hypnotisierten hinter der Bühne nach einem Glas Milch schreit. Wie widerlich, wie lächerlich war das alles …
Carola hob die Hand. Die Stimme Schwester Annes verstummte. Der Kritiker sprach gerade vom Zauber des Adagio.
»Bitte, lesen Sie etwas anderes. Ich interessiere mich doch nicht dafür. Es ist mir eine völlig fremde Welt –«
Die Zeitung raschelte wieder. »Die neue Mode, Madame?«
»Ja, bitte …«
»Die bevorzugte Farbe des Winters wird Dunkelviolett und ein sattes Weinrot sein –«
»Weinrot … wie schön. Es wird mir gut stehen …«
Carola drehte den Kopf zu Seite. Ihre Stimme war klein und kläglich. Ob Bombalo ihm die Frackschleife geradegerückt hat, dachte sie. Aber das sieht er nicht, und er ist hinausgetreten und hat sich verbeugt mit schiefer Schleife … Und niemand hat ihm den Schweiß von den Nackenhaaren getupft, damit der Frackhemdenkragen nicht durchweicht.
»Bitte … lesen Sie nicht weiter, Schwester …«, sagte sie stockend. »Ich bin müde … ich … ich kann nicht mehr folgen. Nachher wieder, ja?« Sie hob die Hand und suchte, bis Schwester Anne sie ergriff. »Ich danke Ihnen«, sagte Carola leise. »Sie sind so nett zu mir –«
Dann tat sie, als schlafe sie ein. Sie hörte, wie Schwester Anne vom Stuhl aufstand, etwas wegräumte, wieder raschelten ein paar Zeitungen, dann klappte die Tür leise zu. Sie war allein. Allein mit einem zerschnittenen Gesicht, das in vier oder sechs Wochen das Antlitz eines neuen Menschen sein sollte.
Und plötzlich weinte sie. Es war eine lange aufgesparte Erlösung –
*
Nach zwei Wochen intensiver Proben im Badezimmer seines Appartements im Hotel ›Atlantic‹ fühlte sich Jean Leclerc stark genug, den Sprung an die Sonne zu wagen und den besten Impresarios und Konzertagenturen vorzuspielen.
Er hatte sich dazu eine Liste angelegt, die kreuz und quer durch Frankreich, Italien, die Schweiz und Deutschland führte. Zum Schluß – wenn alle Agenturen keinen Platz für Jean Leclerc haben sollten – wollte er es in England versuchen. Um einem frühzeitigen Skandal vorzubeugen, hatte er sofort an den Geldverleiher Hilman Snider geschrieben und ihm mitgeteilt, daß er die Straße des Ruhmes beschritten habe. Er brauche jetzt von Snider nur eine kleine, geldlose Unterstützung – nämlich Geduld.
In den Wochen der Probenarbeit hatte Leclerc sehr zurückgezogen gelebt, so weit das in einem Luxushotel wie dem ›Atlantic‹ möglich war. Vor allem hatte er sich bemüht, keine Blicke für die schönen Frauen zu haben, die – Abenteuer in den Augen – abends die Halle und den Gesellschaftssaal füllten und den eleganten Leclerc unverhohlen musterten, als sei er zu verkaufen. Auch mußte er sparsam sein, denn seine Rundreise zu den Impresarios würde fast das ganze Geld aufbrauchen, das ihm Carola überlassen hatte. Aber sein Plan war diesen Einsatz wert … mit seinem Können würde er überzeugen.
Zunächst suchte er die Konzertagentur Parthou in Marseille auf. Sie hatte einen guten Namen und einige bekannte Violinvirtuosen unter Vertrag.
François Parthou war an diesem Tag solch guter Laune, daß er diesen Monsieur Leclerc selbst empfing. Eine Sekretärin führte ihn in ein riesiges Zimmer, in dessen Mitte ein weißer Konzertflügel stand. François Parthou, den Leclerc zunächst gar nicht bemerkte, kam aus einer Ecke des Saales hervor, wo ein kleiner Rokokoschreibtisch und drei Sesselchen standen. Sonst war der Riesenraum leer. Er schien um den weißen Flügel herum gebaut zu sein als gläserne Glocke, in der sich die Töne fangen sollten.
»Monsieur –«, sagte Parthou und legte die Fingerspitzen aneinander. »Nach dem, was Sie da unter dem Arm quetschen, wollen Sie mir Geige vorspielen.« Seine Stimme war hoch und etwas schrill und paßte nicht zu dem napoleonischen Gesicht, dessen Ähnlichkeit er mit Ausdauer und Liebe pflegte.
»Ja.« Jean Leclerc verbeugte sich. »Ich hatte mich angemeldet und –«
»Mein Sohn! Es melden sich bei mir wöchentlich hundert verkannte Genies an. Meistens wimmern sie in den Nebenräumen vor meinen Assistenten … daß Sie heute gerade auf mich treffen, sollten Sie in Ihr Gebet als ganz große Gnade einschließen.« Parthou umkreiste Leclerc, als mustere er auf der Auktion in
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