Symphonie des Lebens
Glasseite nach oben. Dr. Lombard atmete auf. Sie hat sich angesehen, dachte er. Und sie ist ruhig.
»Madame –«, sagte er mit seiner gütigen Stimme, die mehr zu einem Psychiater paßte als zu einem kosmetischen Chirurgen. »Man muß sich daran gewöhnen –«
»Ich will es versuchen, Doktor.« Carola lächelte gequält.
»Wie finden Sie sich?« Dr. Lombard nahm den Handspiegel vom Tisch. In Carolas Augen trat ein gehetzter Ausdruck. Wenn er jetzt mit dem Spiegel zu mir kommt, flüchte ich, dachte sie. Ich springe aus dem Fenster in den Garten. Ich kann mich noch nicht sehen. Ich kann es einfach noch nicht –
»Sie müssen zugeben, daß Prosper Mérimée an solche Schönheit dachte, als er seine ›Carmen‹ schrieb.« Lombard versuchte, mit Schwärmerei den sichtbaren Schock Carolas zu lockern. Selbst für ihn, unter dessen Händen dieses neue Gesicht geboren war, war es unheimlich, wenn er das Foto, das er von Carola vor den Operationen gemacht hatte, verglich mit dem Kopf, der jetzt im vollsten Sonnenlicht stand … der Kopf einer Südländerin mit all der Faszination, die unter südlicher Sonne gedeiht.
Er legte den Spiegel auf das Bett. Carola atmete auf.
»Wann … wann kann ich entlassen werden …?«
»In fünf Tagen, Madame.«
»Ich werde abgeholt.«
»Das nehme ich an.« Dr. Lombard legte die Hände aneinander. »Ich möchte vorschlagen, Madame, daß ich den Herrn vorher in meinem Zimmer über das aufkläre, was ihn erwartet. Männer sind von einer seltenen Dummheit in solchen Situationen … sie stehen herum, starren mit offenem Mund, zeigen überdeutlich, wie vor den Kopf geschlagen sie sind, alle Würde des Überlegenen schwindet dahin … es ist wirklich peinlich, wie sie sich benehmen. Ich erlebe es immer wieder, und dabei handelt es sich nur um kleine Korrekturen … nicht um eine so weitgreifende Umwandlung wie bei Ihnen, Madame.«
Carola schüttelte den Kopf. »Danke, Doktor … aber ich möchte es nicht …«
»Was?«
»Daß Sie Jean vorher aufklären –«
Dr. Lombard hob die Schultern. Jean heißt er also, dachte er. Zum erstenmal nennt sie vor mir diesen Namen. Jean, für den sich eine schöne Frau noch schöner macht. Ein Opfer, das sich vielleicht nie lohnen würde … eine Illusion, die in ein paar Jahren weggeblasen sein wird wie eine schillernde Seifenblase vom Wind.
»Er wird Sie nicht erkennen, Madame«, sagte Dr. Lombard vorsichtig.
»Das soll er auch nicht.«
»Ich verstehe nicht –«
»Ich will sehen, wie er mich ansieht, bevor er erkennt, daß ich es bin. Er soll kein Theater spielen vor mir … er soll mich so ansehen, wie er eine Frau betrachtet, die ihm gefällt … oder die ihn gleichgültig läßt …«
»Und was erwarten Sie, Madame?«
»Ich – ich weiß es nicht.« Das klang wieder kläglich und unendlich hilflos. Dr. Lombard verspürte Mitleid mit dieser Frau, die es möglich gemacht hatte, eine Illusion sichtbar werden zu lassen.
»Sie haben Angst, Madame?«
»Ja«, sagte sie ehrlich. »Ich weiß nicht, was ich tun werde, wenn er an mir vorbeisieht wie an einer Alltäglichkeit.«
»Vielleicht sollte ich doch vorher mit Monsieur Jean …«
»Nein! Nein!« Carola hob beide Hände zur Abwehr.
Dr. Lombard setzte sich auf die Bettkante und spielte mit dem Handspiegel. »Sie haben ein großes Opfer gebracht, Madame, für eine Liebe, die in Ihrem Herzen die Erfüllung Ihres Lebens bedeutet …«
»Ja …«, sagte Carola leise und lehnte sich gegen die Wand.
»Wir waren in den ganzen Wochen immer ehrlich zueinander, seien wir es jetzt auch. Ich habe Ihnen geholfen – für 20.000 Francs natürlich –, eine neue Idealwelt aufzubauen mit dem Wegzaubern des Letzten, was Sie an die vergangene Welt erinnert. Ihr Gesicht. Nun, nach diesem einmaligen Schritt ins Unabänderliche, müssen Sie auch den Mut haben, die Illusion weiterzuspinnen – auch wenn Sie sehen, daß dieser Monsieur Jean – ich beneide ihn, daß er eine solche Kraft über eine Frau wie Sie besitzt – im ersten Augenblick des Erkennens, daß diese neue Frau in Wahrheit Sie sind, erschrecken oder sich, wie ich sagte, dumm benehmen wird. Es ist das Vorrecht der Männer, in solchen Fällen miserabel zu reagieren, weil sie in der Kenntnis der weiblichen Seele reine Analphabeten sind. Ertragen Sie es mit Ruhe und Würde, Madame … wir alle wissen, welche Schönheit Sie mitbringen … und, seien wir ganz hart in unserer Vertrautheit, die erste Nacht wird alle Probleme lösen.« Dr. Lombard
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