Symphonie des Lebens
Flöten …
Die ›Eroika‹ begann, die Lobeshymne Beethovens an Napoleon.
Mit seinen bloßen Händen beschwor Donani die Kraft des Titanen. Es wurde sein schönstes, sein bestes, sein reifstes Konzert –
Er war über sich selbst hinausgewachsen.
*
Jean Leclerc setzte die Geige ab.
Der rosafarbene, milchige Nebel löste sich auf … er erkannte die Gesichter wieder, Augen, die ihn anstarrten, Lippen, die sich vorwölbten. Fischgesichter, dachte Leclerc und senkte den Kopf. Sie sitzen da wie Fische ohne Wasser … Man braucht mir gar nicht zu sagen, daß ich wieder versagt habe. Ihr alle habt mich fertiggemacht mit eurem verfluchten Donani –
Hans Bartschleger kam auf ihn zu und drückte ihm die Hand. »Sehr schön …«, sagte er, und für Leclerc klang es, als sei die Stimme weit weg, jenseits des Rheines, der draußen vor dem Fenster vorbeifloß. »Die Herren sind beeindruckt, soviel kann ich Ihnen schon sagen. Bitte, kommen Sie morgen wieder … bestimmt gibt man Ihnen eine Chance –«
Wie auf Wolken, ohne das Gefühl, aufzutreten und zu gehen, verließ Leclerc das Zimmer. Fast unbewußt packte er die Geige in den Kasten, klemmte ihn unter den Arm und schwankte hinaus. Am Rhein setzte er sich auf eine Bank, schlug den Kragen hoch, weil er plötzlich fror, und starrte auf die träge vorüberziehenden Schleppkähne.
Er dachte an gar nichts. Er war wie leergebrannt, wie eine Nußschale, die der Wind vor sich hertreibt. Er sah die graugelben, schmutzigen Wellen des Rheines, hörte das Tuckern der Dieselmotoren auf den Schleppern, das Scheppern der Straßenbahn hinter sich und das quietschende Bremsen der Autos … und doch war das alles wie in dicke Watte gepackt, Geräusche und Bilder hinter einer abschirmenden Glasplatte.
Ein Klirren neben ihm schreckte ihn auf.
Auf seinem Geigenkasten lag ein Geldstück. Zehn Pfennige. Ein schönes, neues Geldstück aus blankem Messing. Er sah sich um und bemerkte zwei Kinder, die die Rheinpromenade heruntergingen und sich ein paarmal nach ihm umsahen.
Halt, wollte er rufen. Nehmt das Geld wieder mit. Ich bin kein Bettelmusiker … ich bin Jean Leclerc, der große Leclerc …
Aber dann lächelte er. Er steckte das Geld ein, klemmte den Geigenkasten wieder unter den Arm und ging weiter. An einer der Erfrischungsbuden am Rhein kaufte er sich für die blanken Zehnpfennig eine Rolle saurer Drops und lutschte sie auf dem Weg zum Hotel in der Altstadt.
Morgen, dachte er. Morgen soll ich wiederkommen … Man will mir eine Chance geben …
In dieser Nacht schlief er nicht. Er saß am Fenster, sah auf die enge Straße, beobachtete das Hin- und Herpendeln der Straßenmädchen und das Schlenkern ihrer Handtaschen, rauchte und trank Wasser und dachte: Hier ist Köln wie Paris. Wie sich doch alle Städte in der Armut gleichen … Und er spürte so etwas wie Stolz, daß es vielleicht die letzte Nacht sein würde, in der ein unbekannter Jean Leclerc am Fenster eines kleinen Hotels saß und den Dirnen zuschaute.
Mit dem neuen Tag sollte das neue Leben beginnen …
Hans Bartschleger empfing Leclerc am nächsten Morgen sofort. Er schüttelte ihm kräftig die Hände und war in bester Stimmung. »Ein Erfolg!« sagte er freudig. »Ein Erfolg auf der ganzen Linie! Wir haben vier Angebote bekommen …«
»Vier –«, sagte Leclerc überwältigt. Sein Herz wurde schwer vor Glück.
»Sie machen Ihr Glück, habe ich das nicht immer gesagt? Und nun hören Sie mal zu, was ich Ihnen anzubieten habe. Sie können es sich aussuchen … eins ist so gut wie das andere.« Bartschleger nahm eine neu angelegte Karteikarte mit dem Namen Leclerc aus einem Kasten und schwenkte sie in der Luft. »Ich sage Ihnen die Angebote, bevor wir einen Vertrag gemacht haben. Ich halte Sie für einen ehrlichen Mann. Der Vertrag ist schon geschrieben, Fräulein Seiferth bringt ihn gleich rein. Und nun fangen wir an … Nummer 1: Orchester Orlando, Tivoli Kopenhagen, die ganze Saison. Gage monatlich 200 Dollar.« Bartschleger sah Leclerc strahlend an. »Wir machen die Verträge immer auf Dollarbasis, das erleichtert die Abrechnung bei den Auslandsgastspielen.«
Leclerc fühlte sich wie in einem eisigen Wasser schwimmen. »Tivoli Kopenhagen …«, sagte er leise. »Orlando …«
»Da staunen Sie, was? Können setzt sich eben durch! Und wir haben die besten Manager als Geschäftsfreunde. Aber weiter. Nr. 2: Orchester des Opernhauses Brüssel. Mit Solo-Verpflichtung. Denken Sie bloß an das Violinsolo in der
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