Symphonie des Lebens
den größten Triumph seines bisherigen Lebens errungen. Als Carola die Hand unter seinen Arm schob, schüttelte er sie ab wie eine lästige Fliege.
Jetzt werde ich ein Solist, dachte er. Ein großer Geiger. Mir wird die Welt offenstehen. Aber diese Frau wird mich hindern, sie wird immer um mich sein, sie wird immer bestimmen wollen, sie wird mich am Tage immer wie ein Kind behandeln und in den Nächten wie einen nie erschöpften Mann. Sie wird eine Hölle für mich werden, während ich mich in den Himmel spiele.
»Was hast du?« fragte Carola leise.
»Nichts!«
Es klang so, daß sie nicht weiterfragte. Auch im Hause sprachen sie nicht miteinander … Leclerc saß am Gitter der Terrasse und starrte hinunter auf das Meer und die schaumumtosten Klippen.
In dieser Nacht schliefen sie zum erstenmal getrennt … zwar nebeneinander in einem Bett, aber niemand tastete hinüber zu dem anderen, kein Körper drängte sich an, keine Hand suchte Wärme und Weichheit. Eine rätselhafte Wand war plötzlich zwischen ihnen, die erst verschwand, als Carola gegen Morgen zaghaft ihren Kopf auf Leclercs Brust legte und seine Hand im Halbschlaf über ihren Leib glitt.
Sie seufzte und schlief wieder ein.
*
In den nächsten Tagen war alles wieder wie vordem. Im Gegenteil – Leclercs Leben pendelte zwischen Geigenübungen und Zärtlichkeiten, und Carola genoß den Rausch seiner jugendlichen Tatkraft wie ein betäubendes Gift.
Als die ersten Plakate an den Wänden und Tafeln von Cannes hingen, ließ sich Leclerc neben ihnen fotografieren und hing ein Plakat in der kleinen Diele des Hauses auf. Oft stand er davor und las mit lauter Stimme:
Gala-Konzert
Beethoven – Tschaikowskij – Prokofieff
Es spielt
Jean Leclerc, Violine
begleitet von dem Sinfonie-Orchester Turin
Leitung Mario Brandelli
im Großen Saal des Künstlerhauses Cannes
»Wie das klingt«, sagte er glücklich. »Es spielt: Jean Leclerc – begleitet von – Mein Gott, ich kann es noch gar nicht fassen. Und wenn ich an den Abend denke, habe ich schon jetzt wahnsinnige Angst. Meine Finger werden wie gelähmt sein, Chérie …«
»Ich werde bei dir sein.« Carola lehnte den Kopf an seine Schulter. »Du wirst spielen wie noch nie –«
Und dann war plötzlich der Abend gekommen, so schnell, daß Leclerc immer wieder auf den Kalender sah, weil er es nicht glauben wollte. Gombarelli hatte Nachricht gegeben. Der Kartenverkauf sei schleppend, aber im Hinblick auf den neuen Namen sei man zufrieden. Die Turiner Kapelle reiste an, am Vormittag hatte Leclerc eine Verständigungsprobe mit dem Orchester und dem Dirigenten. Es war ihm nichts Neues, er kannte das ja alles, nur hatte er bisher immer in der Musikerreihe gesessen und immer mit Neid auf den Mann geblickt, der neben Donani vor dem Orchester stehen durfte. Nun war er es. Nun stand er neben dem Dirigentenpult und besprach mit Mario Brandelli die einzelnen Tempi. Nun konnte er sagen: Ich möchte das so haben, und diese Stelle spiele ich im Gegensatz zur Partitur mehr piano. Das Orchester darf also nicht zudecken. Nun war er es, der angab, nach dem man sich zu richten hatte, der vor ihnen allen stand. Es war ein herrliches Gefühl, ein triumphales Herzklopfen, eine tiefe Befriedigung nach den Jahren der Wünsche.
Der Vormittag flog vorüber mit der Probe. Zu Mittag aß Leclerc kaum etwas … er spürte, wie sich seine Kehle langsam wieder zuschnürte. Am Nachmittag wurde er nervös. Als sie von Antibes nach Cannes fuhren, saß er in seinem Frack blaß und eingefallen neben Carola, deren silbernes Abendkleid mit den schwarzen Perlenstickereien glitzerte. Eine Locke ihres schwarzen Haares hatte sie mit einem Clip aus Brillanten und Rubinen festgesteckt. Ihre Schönheit war faszinierend. Sie war eine Demonstration südländischer Frauenvollkommenheit.
Leclerc hatte keinen Blick dafür. Er starrte vor sich hin und bewegte stumm die Lippen. Eine Stelle bei Tschaikowskij machte ihm Schwierigkeiten, jetzt sagte er sie im Geiste immer wieder her.
Franco Gombarelli empfing sie am Hintereingang des Künstlerhauses und umarmte Leclerc in überschwenglicher Begeisterung. Hinter den Fenstern hörte man das Klingen der Instrumente, ein wirres Durcheinander von Tönen. Das Orchester machte sich warm.
Gombarelli ließ Leclerc ins Künstlerzimmer vorgehen und hielt Carola am Arm zurück.
»Signora –«, sagte er leise, nahe ihrem Ohr. »Bevor es losgeht, muß ich Ihnen noch etwas sagen: Die Saalmiete kostet 2.000 Francs, das
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