Symphonie des Lebens
–«
Leclerc war glücklich wie ein beschenkter Junge. Aber er träumte nicht nur vom Erfolg … er arbeitete auch dafür. Drei Tage lang gab es keine Ruhe in dem Haus auf dem Felsen, stundenlang schwebten die Klänge der Geige über das Meer, immer und immer wieder die gleichen Stellen, die artistischen Kapriolen Paganinis, die Doppelgriffe Kreislers und Sarasates. Carola ließ Leclerc in diesen drei Tagen seine innere und äußere Ruhe, nur des Nachts lagen sie sich in den Armen und redeten nach den Ekstasen von ihrer Zukunft und von dem Glück, sich gefunden zu haben.
Am Freitag war Jean Leclerc blaß und fahrig, mißmutig und knurrig. »Ich bin kein Schuljunge!« schrie er, als Carola ihm die Krawatte band und ihm mit einer Bürste über die schwarzen Haare fuhr. »Verdammt noch mal … ich komme mir vor, als müsse ich vor Onkel Hubert ein Gedicht aufsagen! Laß mich endlich in Ruhe!«
Carola schwieg. Das Lampenfieber kannte sie … es gab Sänger, die hinter der Bühne, Sekunden vor ihrem Auftritt, keinen Ton mehr aus der Kehle bekamen, um dann, hinaustretend ins Rampenlicht, zu singen wie ein Gott. Bernd Donani schwitzte vor seinem Hinaustreten auf das Podium, Caruso – so sagt man – habe jedesmal Bauchschmerzen bekommen – Jean Leclerc benahm sich wie ein ungezogener Junge, schimpfte und knurrte und rannte herum wie ein gefangener Tiger.
Franco Gombarelli hatte alles so arrangiert, wie es Carola vorgeschrieben hatte. Im Musikzimmer des Golf-Hotels erwartete er Leclerc und nickte mehrmals, als er ihn auf sich zukommen sah.
Natürlich, dachte Gombarelli, so muß er aussehen, um reichen Frauen die Vernunft aus dem Gehirn zu saugen. Ein Spielknabe mit schwarzen Locken und den melancholischen Augen einer Dogge. Hände, weich zum Streicheln, Lippen, voll zum Küssen, ein schlanker Körper, der nicht belastet und noch mit Muskeln spielt. Es sind immer die gleichen Typen, auf die die Frauen hereinfallen. Man kann es einfach nicht verstehen –
»Willkommen, zukünftiger Meister!« rief Gombarelli, getreu seiner Instruktion und mit dem Gedanken, durch diesen Blödsinn Geld zu verdienen. »Ich habe gehört, daß Sie auf dem Wege sind, alles an die Wand zu spielen. Kollege Parthou hat mir von Ihnen vorgeschwärmt … wenn nur ein Viertel dessen stimmt, sind Sie der kommende Mann.«
Leclerc ging auf diesen Enthusiasmus nicht ein. Er packte seine Geige aus, straffte den Bogen und stimmte die Saiten. Carola war draußen geblieben, sie saß in der Halle und wartete. Er hatte es so gewünscht.
»Können wir?« fragte Leclerc, als er die Geige gestimmt hatte. Gombarelli putzte sich laut die Nase.
Man muß es durchstehen, dachte er. Das Benehmen eines Virtuosen hat er schon. Er ging zum Flügel, sah auf die Noten, die Leclerc hingelegt hatte, und sah erstaunt auf.
»Das wollen Sie spielen?«
»Dachten Sie, ich spiele Ihnen Twist vor?«
»Das ist das Schwerste, was es auf dem Violinsektor gibt. Allein die Kadenz …«
»Haben Sie Angst, mich zu begleiten?«
Gombarelli wurde rot und setzte sich vor den Flügel. Ein eingebildeter Laffe, dachte er. Wenn er dieses Konzert fehlerlos spielen kann, ist er wirklich ein Könner. Aber wir werden es ja gleich hören … es wird das Gewimmer einer gebärenden Katze sein.
»Ich spare mir die lange Einleitung«, sagte Gombarelli kurz. »Ich fange vier Takte vor Ihrem Einsatz an. Also denn –«
Jean Leclerc schloß die Augen. Keine Angst, dachte er. Du brauchst keine Angst zu haben, du kannst es ja, du hast es oft genug geübt, in deinen Fingern lebt jeder Ton.
Schon beim ersten Bogenstrich sah Gombarelli erstaunt auf. Dann, je weiter sie zusammen spielten, kam Gombarelli in das Glücksgefühl hinein, eine schöne Stunde zu erleben, einen jener kurzen Augenblicke im Leben eines Menschen, die man nie mehr vergessen würde.
Als die Solokadenz begann, legte Gombarelli die Hände in den Schoß und starrte Jean Leclerc an. Er hatte die Augen geschlossen, seine Finger glitten über die Saiten, der Bogen flog, die schwarzen Haare hingen ihm in die Stirn, sein ganzer Körper schien Musik geworden zu sein, ein Instrument, das mit den Tönen vibrierte. Ein neuer Paganini, dachte Gombarelli ergriffen. Mein Gott, was haben wir da entdeckt. Was da aus diesem Jungen herausbricht, ist wirklich ein Wunder. Wenn die Welt erkennt, was da heranwächst, ist ein neuer Stern aufgegangen. Wenn sie es erkennt –
Die Schlußtakte waren ein Jubelschrei. Erschöpft legte Gombarelli die Hände
Weitere Kostenlose Bücher