Symphonie des Lebens
Bedingung, daß ich keinem zur Last falle.«
Donani schüttelte den Kopf. »Wir alle würden uns freuen, bestimmt. Vor allem die Kinder. Sie … sie haben Schweres durchgemacht in der letzten Zeit. Meine Frau verunglückte tödlich und –« Er unterbrach sich und dachte an die Wahrheit, die ihm Jean Leclerc bestätigt hatte. Die Kinder wollte sie verlassen, dachte er bitter. Und mich, mich, der sie brauchte wie die Luft. Ich kann es einfach nicht begreifen.
Carola hatte sich abgewandt. Es war ihr unmöglich, ihn weiter anzusehen, ihm weiter zuzuhören. Ich werde das nicht aushalten können, empfand sie. Ich werde nicht die Kraft aufbringen, Vera Friedburg zu sein, die gute, fremde Tante, die sich die Geschichte der toten Mami anhört. Das übersteigt alle menschliche Kraft. Ebensogut könnte man versuchen, die Sonne zu verdunkeln.
»Sie bleiben also? Bitte!« sagte Donani noch einmal.
Carola nickte stumm. Aus dem Kinderzimmer ertönte der Chor der beiden hellen Stimmen: »Tante Vera! Tante Vera!«
Donani lächelte schwach. »Sehen Sie – Sie dürfen einfach nicht gehen. Aber nun können die Kinder einmal warten. Der Papa will auch etwas von dem unverhofften Besuch haben. Darf ich Sie zu einer Tasse Tee einladen, Frau Friedburg?«
»Nachher. Ich muß Babette erst beruhigen. Es ist nicht gut, wenn sie mit ihrer Kopfwunde so laut ruft und im Bett herumtobt.«
Sie wandte sich ab und ging zurück zum Kinderzimmer. Donani sah ihr nachdenklich nach und strich sich nervös über die weißen Haare.
Sie geht wie Carola, dachte er und empfand dabei einen heißen Schmerz in der Brust. Und sie spricht wie Carola … der fast gleiche Tonfall, das Timbre der Stimme … wenn man die Augen schließt, ist die Täuschung vollkommen. Dann ist es, als lebe Carola noch. Mein Gott – soll ich in dieser Vera Friedburg eine Auferstehung Carolas erleben?
Langsam ging er die Treppe hinunter zu den Wohnräumen. In der Dielenhalle stand Bombalo und grinste ihn an.
»Sie sehen gar nicht glücklich aus, Maestro«, sagte er und tupfte sich den Schweiß von der Stirn. »Jeder andere Mann fängt an, Choräle zu singen, wenn ein Engel ins Haus schwebt.«
»Laß diesen Blödsinn, Pietro!« Donani vergrub die Hände in die Hosentaschen. »Frau Friedburg kümmert sich lediglich um die Kinder. Sie ist unser Gast. Ich habe sie gebeten, noch zu bleiben.«
»Das war klug, Maestro.« Bombalo lächelte still. »Das war ein genialer Gedanke –«
»Rindvieh!« sagte Donani laut und ging in die Bibliothek. Bombalo rieb sich mit glücklichem Gesicht die Hände.
»Er wird wieder der alte!« sagte er laut. »Man sollte Gott jeden Tag preisen, daß er die Frauen erschuf –«
*
In den folgenden Tagen lief das Leben in der Villa Alba auf zwei Ebenen ab.
Erna Graudenz war beleidigt, ließ durchblicken, daß sie ja nun überflüssig sei und gehen könne und spreizte wie ein Igel die Stacheln nach außen, wenn sie Carola gegenübertrat. Meist geschah das im Kinderzimmer, wenn Fräulein Graudenz das Essen brachte und Alwine und Babette in lautem Duett verlangten, Tante Vera solle mit ihnen essen und nicht Erna. Dann zog sich Fräulein Graudenz beleidigt in die Küche zurück, aß allein und philosophierte über den Undank, der aller Welt Lohn ist.
An den Abenden, wenn die Kinder schliefen und Fräulein Graudenz ihren Kummer in das Kino trug oder vor dem Fernsehapparat saß, bildeten Donani, Vera Friedburg und Bombalo eine fröhliche Kaminrunde, tranken Wein, tauschten Erlebnisse aus und fanden, daß man sehr gut zueinander paßte und die Zeit viel zu schnell dahinrann. Zwei Wochen waren verflogen wie zwei Tage, Babette bekam den Kopfverband abgenommen, nur der Gips mußte noch vier Wochen bleiben, und Donani hatte angekündigt, daß der Vertrag zwischen ihm und Vera Friedburg abgeschlossen sei bis zur völligen Heilung Babettes. »Ich habe Ihr Wort, Frau Friedburg«, sagte er, als Carola eines Abends die Sprache auf ihr Weggehen brachte, »daß Sie bis zur endgültigen Gesundung Babs' hierbleiben. Eher lasse ich Sie auch gar nicht gehen!«
Und Bombalo nickte eifrig und ergänzte in seiner überdeutlichen Art: »Und wenn Babette gesund ist, legt sich einer von uns hin … Sie kommen hier so schnell nicht wieder weg.« Donani belegte diese Bemerkung mit einem bösen Blick, aber in Wahrheit hatte Bombalo ihm aus der Seele gesprochen. Es war ein merkwürdiger Zustand, den er vergeblich zu erklären versuchte. Er hatte sich an Vera Friedburg gewöhnt.
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