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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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ich«, sagte er.

42. Elvis, Graceland
    Winnie Tung Whitaker trug eine blassblaue Iteration des Sweatshirts mit der Bundesflagge von South Carolina. Milgrim stellte sich vor, wie sie in einem Fabrikverkaufsladen an dem Highway, der zum Edge City Family Restaurant führte, die gesamte Farbenpalette erworben hatte. Das Blau ließ sie eher wie eine junge Mutter aussehen, was sie anscheinend auch war, und nicht unbedingt wie die knallharte Ermittlerin, die zu sein sie eben behauptet hatte. Dabei bezweifelte er gar nicht, dass beides zutraf. Um Letzteres zu unterstreichen, trug sie im Moment eine wirklich beeindruckend hässliche Rundumsonnenbrille mit einem matt lackierten Gestell, die sie sich auf das glatte schwarze Haar geschoben hatte. Sie musterte ihn mit stechendem Blick. »Woher kennen Sie dieses Lokal?«, fragte Milgrim. Sie befanden sich in einem kleinen vietnamesischen Café. Ihre Vorspeisen waren gerade serviert worden.
    »Google«, sagte sie. »Sie nehmen mir nicht ab, dass ich hart durchgreifen kann, was?«
    »Doch, doch«, sagte Milgrim verunsichert. Hastig kostete er seinen Chili-Kalmar.
    »Schmeckt es?«
    »Aber ja«, erwiderte Milgrim.
    »Möchten Sie ein Bällchen?«
    »Nein, danke.«
    »Die sind wirklich toll. Hab sie schon probiert, als ich das letzte Mal hier war.«
    »Sie waren schon einmal hier?«
    »Ich wohne hier in der Nähe. Kentish Town heißt das.« »Das Hotel?«
    »Das Viertel. Ich wohne bei einem pensionierten Detective. Von Scotland Yard. Ehrlich.« Sie grinste. »Es gibt da einen Club, die ›International Police Association^ Darüber bekommt man Unterkünfte vermittelt. Spart Geld.«
    »Nett«, sagte Milgrim.
    »Bei ihm liegen überall Spitzendeckchen.« Sie lächelte. »Irgendwie machen mir die Angst. Und ich hab selbst einen Putzfimmel. Sonst könnte ich mir gar nicht leisten, hier zu sein.«
    Milgrim blinzelte. »Wie das?«
    »Wir sind keine große Behörde. Ich hab hundertsechsunddreißig Dollar am Tag zur Verfügung, für Mahlzeiten und sonstige Ausgaben. Hotel extra, aber hier reicht das nicht. In einer so teuren Stadt war ich noch nie.«
    »Aber Sie haben doch bestimmt Sondervollmachten.« »Schön wär's! Mein Boss setzt mich schon die ganze Zeit unter Druck.«
    »Tatsächlich?«
    »Er glaubt nicht, dass die Zusammenarbeit über die Auslandsvertretung und die Briten irgendwohin führt. Und da hat er auch recht. Außerdem passt es ihm nicht, dass ich auf Spesen in London herumrenne und außerhalb der Staaten Ermittlungen durchführe, die nicht ordentlich koordiniert werden. Er möchte, dass ich zurückkomme.«
    »Sie fliegen nach Hause?«
    »Ist das so schlimm für Sie?« Sie sah so aus, als würde sie gleich loslachen.
    »Keine Ahnung«, sagte er. »Ist es das?«
    »Keine Panik«, sagte sie. »So schnell werden Sie mich nicht los. Ich soll nach Hause fliegen und über das FBI versuchen, die Briten an Bord zu holen, was nur im Schneckentempo funktionieren würde, wenn überhaupt. Der Typ, auf den ich es abgesehen habe, wäre dann längst untergetaucht.« Als sie an diesen Mann dachte, bekam sie glänzende Augen, und Milgrim musste an den ersten Eindruck denken, den sie in Covent Garden auf ihn gemacht hatte. »In Großbritannien einen US-Bürger zu rekrutieren, ist okay«, sagte sie, »aber mit Nicht-US-Bürgern zusammenzuarbeiten, um in einem Kriminalfall zu ermitteln oder in einer Angelegenheit, bei der es um die nationale Sicherheit geht? Eher weniger.«
    »Nicht?« Milgrim hatte den Eindruck, zu einer Gesetzmäßigkeit vorgestoßen zu sein, die ihm unangenehm bekannt vorkam und die eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit einem Drogendeal hatte. Hier wurde irgendetwas abgewickelt! Er sah sich um, musterte die anderen Gäste. Einer saß allein an seinem Tisch und las ein Buch. Was in diesem Lokal nicht weiter auffiel.
    »Wenn ich das machen würde«, sagte sie, »wären die Briten stinksauer auf mich. Ratzfatz.«
    »Das wollen Sie bestimmt nicht.«
    »Und Sie ebenso wenig.«
    »Nein.«
    »Ihre Mission wird bald ein ganzes Stück konkreter.« »Mission?«
    »Wie steht es um Ihr Gedächtnis?«
    »In den letzten zehn Jahren oder so? Eher nichtlinear. Ich bin noch dabei, es wieder zusammenzusetzen.«
    »Aber wenn ich Ihnen jetzt eine Geschichte erzähle, eine ziemlich komplizierte Geschichte, würden Sie dann das Wesentliche und ein paar der Details behalten?«
    »Hubertus sagt, Details wären meine Stärke.«
    »Und Sie würden sie auch nicht aufblähen, verzerren und irgendwelches

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