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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Hollis die unechte Tudorfassade des Liberty. Great Marlborough Street. Gar nicht so weit vom Portman Square. Es kam ihr vor, als seien Tage verstrichen, seit sie von dort aufgebrochen war.
    »Fertig«, sagte Fiona hinter ihr.
    Als sie sich umdrehte, ließ Fiona gerade ihr Handy in einer Tasche an der Vorderseite ihres schwarzen Mantels verschwinden. »Wo sind Heidi und Milgrim?«
    »Mein nächster Auftrag«, erwiderte Fiona, »nachdem ich Sie in Ihr Hotel gebracht habe.«
    »Wissen Sie, wo sie sind?«
    »Wir können sie finden«, sagte Fiona und schwang ihr Bein über das Motorrad. Sie trug kniehohe Stiefel mit Schnallen an der Seite. Die Stiefelspitzen waren zu einem hellen Grau abgerieben. Sie hielt Hollis den Helm hin.
    »Davon bekomme ich Kopfweh«, sagte Hollis.
    »Tut mir leid«, sagte Fiona. »Er gehört Mrs. Benny. Hab ihn ausgeliehen.«
    Hollis setzte ihn auf und stieg, ohne weitere Erklärungen abzuwarten, auf das Motorrad.

50. Bank and Monument
    Milgrim hatte die City nie gemocht. Sie war ihm immer zu monolithisch erschienen, allerdings in einem Maßstab, der an vorzeitlichen Monolithen bemessen war. Zu wenige Verstecke. Zu wenige Zwischenräume. Sie drehte Menschen wie ihm schon seit Jahrhunderten den Rücken zu, und er kam sich darin vor wie eine Ratte, die eine Bodenleiste ohne Löcher entlangrannte. Genau das Gefühl hatte er jetzt auch, und zwar sehr ausgeprägt, obwohl er nicht rannte. Allerdings schritten sie recht zügig voran, denn Heidi hatte lange Beine.
    Er trug eine schwarze Sonny-Jacke, die Heidi einem liebenswürdigen, vermutlich türkischen Raumpfleger hier in der Lombard Street mit einem Bündel Scheine abgekauft hatte. Jedenfalls war das in Weiß auf die linke Brust gestickt, einem echten Sony-Logo nicht unähnlich. Seine eigene Jacke hatte er zu dem Laptop in seine Tasche gestopft. Bei der Transaktion war außerdem eine graue Acrylstrickmütze herausgesprungen, die sich Heidi tief ins Gesicht gezogen hatte und unter der ihr schwarzes Haar vollständig verschwand. Sie trug ihre Jacke auf links, das Seidenfutter leuchtete in einem eindrucksvollen Scharlachrot. Die gefransten Epauletten waren zu Polstern geworden und betonten ihre imposanten Schultern noch. Wahrscheinlich befürchtete sie, erkannt zu werden, entweder von irgendwelchen Kumpanen von Laubfrosch oder von den allgegenwärtigen Kameras.
    Sofort bereute er, dass er an Laubfrosch gedacht hatte. Das war schlimm gewesen, diese Sache mit dem Hilux und den beiden Pkws, und er wurde das Gefühl nicht los, dass er schuld daran war. Laubfrosch hatte unter der Mütze eindeutig einen Verband getragen, und Milgrim konnte nur mutmaßen, dass das etwas mit dem Leibwächter der jungen russischen Mutter in Paris zu tun hatte. Wenn Sleight Laubfrosch angewiesen hatte, dem Neo zu folgen, was Milgrim schließlich auch beabsichtigt hatte, dann war er dem ominösen Kinderwagen gefolgt. Und das war geschehen, weil er, Milgrim, einer ungewohnt rebellischen Anwandlung von Zorn und Unmut nachgegeben hatte - natürlich auch, weil sich ihm die Möglichkeit dazu geboten hatte.
    Jetzt zog Heidi ihr iPhone hervor. Schaltete mit dem Daumen das Display ein. Sie lauschte und hielt das Telefon dann von sich weg, als würde sie eine Nachricht ignorieren, die sie bereits kannte. Schließlich hob sie es wieder an den Kopf und sagte: »Hör zu, Garreth. Hollis Henry steckt bis zum Hals in der Scheiße. Jemand hat versucht, sie zu entführen. Ruf sie an!« Sie drückte erneut auf das Display.
    »Wer war das?«
    »Hollis' Ex«, sagte Heidi. »Seine Mailbox. Hoffe ich jedenfalls.« »Der Typ, der von Hochhäusern springt?«
    »Der Typ, der sie nicht zurückruft«, sagte Heidi und steckte ihr Telefon weg.
    »Warum nehmen wir kein Taxi?«, fragte er.
    »Weil sie einen Zug nicht anhalten können.«
    Inzwischen befanden sie sich in der Schlucht der King William Street. Mehr Verkehr, mehr Taxen. Der Gurt seiner Tasche grub sich ihm in die Schulter, die Sonny-Jacke roch schwach, aber nicht unangenehm nach Gewürzen, vielleicht von einer kürzlich eingenommenen Mahlzeit. Er hatte Hunger, obwohl er doch mit Winnie Vietnamesisch gegessen hatte. Er musste an Hollis' Dongle denken, an die Netzverbindung im Tunnel unter dem Kanal. Ob in der Londoner U-Bahn wohl Handys funktionierten? In New York jedenfalls nicht, soweit er wusste; dort hatte er nie eins gehabt. Wenn ja, konnte er Winnie eine Nachricht schicken, sobald sie in einem Zug saßen. Ihr von Laubfrosch und dem Hilux

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