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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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alles unbewusst, wie bei einem Hund, der sich noch einmal um sich selbst dreht, bevor er sich hinlegt und einschläft.
    »Scheiße«, sagte Heidi nachdenklich. Offenbar war sie in ihrem israelischen Armee-BH eingeschlafen oder ohnmächtig geworden. Hollis, die den Schlüssel mitgenommen hatte, als sie gegangen war, bemerkte, dass die Karaffe kaum mehr einen Fingerbreit Whisky enthielt. Heidi trank nicht oft, aber wenn, dann richtig. Jetzt lag sie unter einem zerknautschten Haufen Wäsche begraben, der auch mehrere magentarote Leinenservietten und ein billiges mexikanischen Strandhandtuch umfasste, das wie ein Poncho gestreift war. Offenbar hatte Heidi den Inhalt der Wäschetruhe im »Chez Schwanzlurch« in eine ihrer Taschen gestopft und hier wieder hervorgeholt. Und darunter schlief sie jetzt, nicht etwa unter der Bettdecke des Cabinet.
    »Frühstück?« Hollis fing an, die Sachen auf dem Bett zu sortieren. Eine große Kühltasche voller spitzer Werkzeuge, feiner Pinsel, winziger Farbdosen und weißer Plastikteile. Als hätte Heidi einen zwölfjährigen Jungen adoptiert. »Was ist denn das?«
    »Therapie«, krächzte Heidi und machte dann ein Geräusch wie ein Geier, der gerade etwas hochwürgt. Hollis hörte es nicht zum ersten Mal. Sie glaubte zu wissen, von wem Heidi es gelernt hatte - von einem übernatürlich blassen deutschen Keyboarder, dessen Tattoos vorzeitig gealtert waren, die Umrisse so verschwommen wie Filzstiftgekritzel auf Toilettenpapier. Sie stellte die Tasche mit dem mysteriösen Inhalt auf die Kommode und nahm den Telefonhörer ab — ein französisches Modell aus dem frühen 20. Jahrhundert, das allerdings vollständig mit grellen, reptilienhaften marokkanischen Perlen bedeckt war, wie das Mundstück einer Wasserpfeife auf dem Großen Bazar. »Eine Kanne Kaffee, schwarz, zwei Tassen«, sagte sie, »einen Ständer trockenen Toast und einen großen Orangensaft. Danke.« Sie nahm ein uraltes Ramones-T-Shirt von etwas herunter, das sich als etwa dreißig Zentimeter großes Ohr aus weißem Porzellan entpuppte - ein Ohr, auf dem in roter Farbe die Reflexzonen eingezeichnet waren. Dann legte sie das T-Shirt wieder darüber, und zwar so, dass das Bandlogo möglichst gut zu sehen war.
    »Was ist mit dir?«, fragte Heidi unter dem Wäschehaufen.
    »Was soll mit mir sein?«
    »Männer«, sagte Heidi.
    »Keine«, erwiderte Hollis.
    »Was ist mit dem Performancekünstler? Der im Flughörnchenkostüm von Wolkenkratzern gesprungen ist? Der war in Ordnung. Und sah gut aus. Darreil?«
    »Garreth«, sagte Hollis, wahrscheinlich zum ersten Mal seit einem Jahr, ohne es zu wollen.
    »Bist du deshalb hier? Der war doch Engländer.«
    »Nein«, sagte Hollis. »Ich meine, ja, das war er, aber deshalb bin ich nicht hier.«
    »Du bist ihm in Kanada begegnet. Hat nicht Bigend euch bekannt gemacht? Ich hab ihn erst später kennengelernt.«
    »Nein«, sagte Hollis. Ihr graute davor, was Heidi noch alles ans Tageslicht zerren würde. »Die sind sich nie begegnet.«
    »Eigentlich sind Sportler doch gar nicht dein Ding«, sagte Heidi.
    »Irgendwie war er anders«, sagte Hollis. »Das sind sie alle«, entgegnete Heidi. »Schwanzlurch auch?«
    »Nein«, sagte Heidi. »Nicht so. Dieses Mal war ich es, die versucht hat, anders zu sein. Schwanzlurch war so un-anders, wie es nur geht, aber immerhin auf seine eigene Art. Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich mich mal auf jemand anderen einlassen musste. Den ganzen Tourkram hinter mir lassen. In Einkaufszentren shoppen gehen. Ein Auto fahren. Darauf hatte ich noch nie einen Gedanken verschwendet. Mal so richtig eine Auszeit nehmen, verstehst du? Weg von allem.«
    »Als wir uns in L. A. getroffen haben, hast du mir keinen besonders glücklichen Eindruck gemacht.«
    »Irgendwann stellte sich heraus, dass er eine künstlerische Ader hatte. Ich hab einen Steueranwalt geheiratet, und dann versucht der plötzlich, ins Filmgeschäft einzusteigen. Indie-Filme und so was. Er hat sogar darüber nachgedacht, Regie zu führen.«
    »Und jetzt sitzt er im Gefängnis?«
    »Ohne Kaution. Das FBI war in seiner Kanzlei. Sie haben diese Jacken getragen - du weißt schon, mit dem ›FBI‹ auf dem Rücken. Sahen richtig gut darin aus. Dabei hätte man glatt einen Film mit kleinem Budget drehen können. Aber Schwanzlurch durfte das Studio nicht betreten.«
    »Und dich können sie nicht belangen?«
    »Inchmales Anwalt in New York hat mich beraten. Ich werde nicht einmal den Anteil seines rechtmäßigen

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