System Neustart
Übermaß an Informationen. Genau darunter litt er gerade, als die Frau in ihre Handtasche griff, ein mattsilbernes Handy hervorholte und es aufklappte. Sie runzelte die Stirn. »Nachrichten«, sagte sie.
Milgrim blickte direkt in die unendlich tiefe schwarze Pupille der Handykamera. »Oha!«, sagte sie. »Ich muss los. Trotzdem danke!« Sie stand auf, die Tasche unter den Arm geklemmt, und eilte hinaus auf die Kreuzung Seven Dials.
Ihr Getränk hatte sie stehen lassen.
Milgrim hob den Becher hoch. Er war leer. Der weiße Deckel war mit einem dunklen Lippenstift beschmiert, den sie nicht getragen hatte.
Durch das Fenster sah er sie an einem überquellenden Mülleimer vorbeigehen, aus dem sie die Requisite höchstwahrscheinlich geholt hatte. Sie überquerte rasch die Kreuzung in Richtung des Vidal Sassoon und verschwand.
Er stand auf, zupfte seine Jacke zurecht und ging hinaus, ohne sich umzublicken. Lief die Monmouth Street zurück, auf sein Hotel zu. Als er fast dort war, überquerte et die Monmouth diagonal, wobei er sich immer noch betont lässig fortbewegte. Er ging in einen gemauerten Tunnel, der zu Neal's Yard führte, einem Innenhof, der wie ein Mini-Disneyland für Esoteriker gestaltet war. Den Hof durchquerte er so schnell, dass er einige verwunderte Blicke auf sich zog. Er kam in Shorts Garden heraus und lief eine weitere Straße entlang.
Jetzt legte er einen zielstrebigen Schritt an den Tag, ohne dabei unnötige Aufmerksamkeit zu erregen.
Und die ganze Zeit über war er sich seiner Sucht bewusst, die durch die Flut von Stresshormonen in seinem Blut erwacht war und ihm dringend riet, jetzt etwas zu nehmen, um seine Nerven zu beruhigen.
Heute nicht, sagte er zu sich selbst und eilte zum U-Bahnhof Covent Garden, vorbei an einer Anthologie von Schuhläden für junge Leute. Die Turnschuhe der Frühjahrssaison waren bunt wie Geleebonbons.
Nicht gut, sagte eine innere Stimme. Gar nicht gut.
Obwohl er sich Mühe gab, entspannt zu wirken, verflüchtigte sich die übliche Ansammlung von Bettlern, die auf dem Fußweg vor dem Bahnhof hin und her waberte, als er auf sie zukam. Sie erkannten etwas in ihm. Er war wieder einer von ihnen geworden.
Er sah Covent Garden wie aus großer Höhe vor sich. Die Menge auf der Long Acre wich vor ihm zurück wie magnetisierte Eisenspäne.
Nimm die Treppe, wies ihn der Autopilot an. Das tat er dann auch, mit gesenktem Kopf und ohne zurückzublicken.
Als Nächstes würde er den erstbesten Zug nach Leicester Square nehmen, die kürzeste Strecke im ganzen System. Dann wieder zurück, ohne auszusteigen, bis er sicher war, dass er nicht verfolgt wurde. Er wusste, wie man das macht. Allerdings waren hier überall diese Kameras in undurchsichtigen Acrylkugeln installiert, wie billige Kopien von Courrèges-Leuchten. In London gab es praktisch an jeder Ecke Kameras. Bisher war es ihm gelungen, nicht darüber nachzudenken. Er erinnerte sich daran, dass Bigend sie als Symptom einer Autoimmunkrankheit bezeichnet hatte, die Schutzmechanismen des Staates, die sich zu etwas Zerstörerischem entwickelten; wachsame Augen, die die Gesundheit dessen untergruben, was sie vorgeblich schützen sollten.
Beschützte im Moment jemand ihn?
Er durchlief sämtliche nötige Vorsichtsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass er nicht verfolgt wurde. Währenddessen stellte er sich vor, was er gleich tun würde, wenn er zum Bahnhof zurückkehrte. Malte sich aus, wie er in dem mit schaler Luft gefüllten Fahrstuhl nach oben fuhr, wo eine leblose Stimme ihn mehrfach auffordern würde, seinen Fahrschein oder die Dauerfahrkarte bereitzuhalten.
Dann wäre er wieder etwas ruhiger.
Und würde den Tag noch einmal von vorn beginnen, so wie er es ursprünglich geplant hatte. Zu Hackett in der King Street gehen, eine Hose und ein Hemd kaufen.
Nicht gut, sagte die Stimme. Er zog die Schultern hoch, Muskeln und Sehnen spannten sich beinahe hörbar.
Gar nicht gut.
11. Schmutzige Wäsche
Heidis Zimmer sah aus wie ein Flugzeug nach einem nicht besonders effektiven Bombenanschlag. Als hätte etwas sämtliche Koffer im Gepäckraum aufgesprengt, ohne den Flieger vom Himmel zu holen. Hollis hatte das schon oft miterlebt, wenn sie mit The Curfew auf Tour gewesen waren, und interpretierte es als einen Überlebensmechanismus, um die seelenlose Sogwirkung von aufeinanderfolgenden Hotelzimmern abzuwehren. Allerdings hatte sie noch nie gesehen, wie Heidi sich mit ihren Sachen ein Nest gebaut hatte. Wahrscheinlich geschah das
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