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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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jeder Hinsicht den Ton angegeben, und dabei war es auch geblieben.
    »Es regnet«, sagte Milgrim und blickte zu dem blauen Himmel mit den hellen Wolken hinauf.
    Das Schweigen zog sich in die Länge.
    Aus irgendeinem Grund wollte er Sleight dazu zwingen zuzugeben, dass er wusste, wo er sich befand. Es hatte etwas mit der Wut zu tun, die er verspürt hatte und vermutlich immer noch verspürte. War das etwas Gutes?
    »Wie sieht's bei Ihnen in New York aus?«, gab Milgrim sich schließlich geschlagen.
    »Toronto«, sagte Sleight. »Es wird langsam heiß. Bis bald.« Damit legte er auf.
    Milgrim betrachte das Neo. Etwas entfaltete sich in seinem Inneren. Wie eine Broschüre, dachte er, und weniger wie ein Schmetterling, was vermutlich das geläufigere Bild gewesen wäre. Eine unangenehme Broschüre, in der allzu deutlich irgendwelche Symptome beschrieben wurden.
    Warum hatte Sleight wirklich angerufen? Hatte er Milgrims Telefon überprüfen müssen? Oder brauchte er das kurze Telefongespräch, um das Neo auf eine Weise zu manipulieren, wie es sonst nicht möglich gewesen wäre?
    Zum allerersten Mal fragte er sich, ob Sleight ihn hören würde, wenn er jetzt etwas sagte. Plötzlich erschien ihm das gar nicht mehr so unwahrscheinlich.
    Er lehnte sich auf dem weiß lackierten Aluminiumstuhl zurück und spürte wieder dieses Gefühl in sich, bei dem es sich vermutlich um Wut handelte. Ihm fiel der Faraday-Beutel ein, der seinen Pass beherbergte und an einer Schnur unter seinem Hemd hing. Er blockierte Funkwellen. Und verhinderte, dass das RFID auf seinem US-amerikanischen Pass gelesen werden konnte.
    Er betrachtete das Neo.
    Ohne bewusst einen Entschluss zu fassen, knöpfte er sein Hemd auf, holte den Beutel hervor, öffnete ihn und schob das Neo zu seinem Pass hinein. Er steckte den Beutel wieder zurück und knöpfte sich das Hemd zu. Dieser war jetzt voluminöser und deutlich sichtbar.
    Er trank seinen Espresso aus, der inzwischen kalt und bitter geworden war, und legte ein paar Münzen auf den kleinen viereckigen Bon. Dann stand er auf, schloss seine Jacke über der leichten Wölbung und kehrte zum Salon du Vintage zurück. Dabei hielt er weiterhin Ausschau nach Laubfrosch, der möglicherweise inzwischen zurückgekehrt war.
    Er ließ sich Zeit, ging die Treppe hinauf und blieb eine Weile vor der Vergrößerung von Hollis' Poster stehen. Dann knöpfte er erneut das Hemd auf, holte den Beutel hervor, öffnete ihn und nahm das Neo heraus, das augenblicklich zu läuten begann.
    »Hallo?«, sagte er und steckte sich mit der freien Hand den Beutel wieder unter das Hemd.
    »Waren Sie gerade in einem Aufzug?«
    »Er war voller junger Japanerinnen«, sagte Milgrim, an dem in diesem Moment eine Asiatin vorbeiging. »Hier gibt es nur drei Stockwerke, aber ich bin nicht rausgekommen.«
    »Wollte bloß mal nachfragen«, sagte Sleight mit ausdrucksloser Stimme und legte auf.
    Milgrim betrachtete das Neo — Sleights verlängerter Arm — und fragte sich, ob es tatsächlich aus war, wenn er es ausschaltete. Vielleicht musste man dafür den Akku herausnehmen. Allerdings fiel ihm jetzt wieder ein, dass Sleight ihm das ausdrücklich verboten hatte. Und auch die beiden Karten durfte er nicht entfernen.
    Sleight hatte bemerkt, dass das Handy in den Faraday-Beutel gewandert war. Milgrim war für kurze Zeit unsichtbar gewesen, wie er es manchmal in einem Fahrstuhl war. Nach allem, was Sleight ihm über die technischen Möglichkeiten des Neo erzählt hatte, war es vermutlich noch am einfachsten, es in ein Abhörgerät zu verwandeln. Das würde auch erklären, warum sie sich überhaupt mit dem Ding abgaben, so unzuverlässig, wie es war. Er hatte die ganze Zeit eine Wanze mit sich herumgetragen. Hatte Bigend etwas davon gewusst?
    Sleight hatte ihm das Neo auf dem Flug von Basel nach London gegeben, nachdem Milgrims Therapie abgeschlossen gewesen war. Seither hatte er es ständig bei sich getragen. Außer gestern, erinnerte er sich, als Sleight ihn angewiesen hatte, das Handy auf seinem Zimmer zu lassen. Als Winnie das Foto von ihm geschossen hatte. Und er zu Blue Ant gegangen war, um Bigend davon zu erzählen, und dieser angedeutet hatte, dass er Sleight nicht mehr vertraute. Danach hatte er sich in dem Einkaufszentrum mit Hollis zum Mittagessen getroffen, und als er in sein Hotel zurückgekehrt war, hatte Winnie dort auf ihn gewartet. Das alles hatte Sleight also verpasst. Und zwar, wenn man ihm glauben konnte, weil die Firma, die das Neo

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