System Neustart
werde für acht Uhr reservieren lassen.«
»Meredith?«
Meredith musterte Hollis eingehend. Dann nickte sie. »Für vier, bitte«, sagte Hollis.
24. Eingebung
Milgrim saß in dem gut gefüllten Hofcafé an einem Tisch, die Kamera auf dem Schoß, und sah sich die vier Fotos an, die er von Laubfrosch gemacht hatte.
Die zwei von hinten wären vielleicht nützlich, wenn man jemand auf ihn ansetzen wollte. Das Viertelprofil vor einem Hintergrund aus grellen Achtzigerjahre-Farben war dagegen weniger brauchbar. Das könnte jeder sein. Waren Frauenkleider in den Achtzigern tatsächlich so schrill gewesen?
Aber das letzte Foto, das er blind geschossen hatte, indem er die Kamera vor den Kopf einer hennagefärbten jungen Deutschen gehalten hatte, war hervorragend. Die Deutsche hatte ihn böse angesehen, weil er ihr so nahe gekommen war. Er hatte ihr Parfüm gerochen irgendetwas Chemisches. Der Geruch kühl geschärfter Aufmerksamkeit vielleicht. »Entschuldigung«, hatte er gesagt und war einen Schritt zurückgetreten, wobei er die kleine Kamera in seiner Handfläche verborgen hatte. Er hatte sich gefragt, ob er Laubfrosch, der inzwischen wieder verschwunden war, richtig erwischt hatte.
Deshalb hatte er auf die Kamera gesehen und das Foto aufgerufen. Und da war Laubfrosch, herangezoomt und wunderbar scharf, fast in der Mitte des Bildes. Die Sonnenbrille hatte einen hellen Streifen auf seiner gebräunten Haut hinterlassen, der an den Pornobalken erinnerte, der auf der Webseite, deren Link Winnie ihm geschickt hatte, seine Augen verdeckt hatte. Der kurze Schirm der Mütze verbarg seine Stirn und tilgte damit einen Gutteil der emotionalen Information. Seine Gesichtszüge waren glatt, wie unberührt von jeglicher Erfahrung. Außerdem strahlte er eine Selbstsicherheit aus, die zum Teil aufgesetzt sein mochte. Ein Eindruck, den er zu erwecken suchte, ganz gleich, in welcher Situation er sich befand.
Milgrim war weitergegangen, die Kamera in der rechten Hand halb verborgen, und hatte den Salon nach Laubfrosch abgesucht. Er hatte ihn bald wiedergefunden und zugleich auch Hollis entdeckt, die gebannt den Worten einer jüngeren Frau in Jeans und einem weißen Hemd lauschte. Er war sich sicher, dass Hollis ihn gesehen hatte. Doch Milgrim hatte sie nicht weiter beachtet, die Augen auf Laubfroschs Rücken gerichtet, der sich immer weiter entfernte, und auch jeden Blickkontakt vermieden. Als Laubfrosch die Treppe hinuntergegangen war, war Milgrim ihm gefolgt und hatte beobachtet, wie er das Gebäude verlassen hatte.
Milgrim war in den Hof gegangen, hatte einen Espresso bestellt und sich dann einen Platz gesucht, um die Fotos anzuschauen.
Jetzt schaltete er die Kamera aus, öffnete die kleine Klappe an der Unterseite und holte die blaue Karte heraus, die die Größe einer Briefmarke hatte. Wann hatte er das letzte Mal eine echte Briefmarke benutzt? Er konnte sich nicht erinnern. Allein die Vorstellung war irgendwie merkwürdig. Er hob den Aufschlag seiner neuen Hose an und schob sich die Karte tief in seinen Socken, den er daraufhin wieder hochzog.
Seine Therapeutin hatte gesagt, er sei kein von Natur aus methodischer Mensch, aber der permanente Ausnahmezustand, in den ihn seine Sucht gestürzt hatte, habe ihm die praktischen Vorzüge einer methodischen Vorgehensweise vor Augen geführt. Und diese war ihm dann zur Gewohnheit geworden.
Er nahm eine unbenutzte Karte aus der Innentasche seiner Jacke und löste sie mit einiger Mühe von der Pappverpackung. Dann schob er sie in die Kamera, schloss die Klappe und steckte die Kamera in die Seitentasche seiner Jacke.
Das Neo in der anderen Tasche läutete. Er holte es heraus. Es sah noch hässlicher aus als sonst.
»Ja?«
»Check nur mal Ihr Telefon«, sagte Sleight wenig überzeugend. »Wir haben Probleme mit dem ganzen System.« Sleight hatte von den Neos immer als System gesprochen, aber Milgrim war bisher sonst niemandem begegnet, der eines gehabt hätte.
»Scheint zu funktionieren«, sagte Milgrim.
»Wie sieht's bei Ihnen aus?«
Sleight hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass er mit Hilfe des Neo Milgrims Aufenthaltsort ermitteln konnte, es jedoch nie offen ausgesprochen. Im Moment lautete der Subtext, dass er wusste, dass Milgrim in Paris war. Vielleicht sogar, dass er sich im Hof dieses Gebäudes befand, was ihm die Daten des russischen GPS-Systems verraten mochten.
Als sie einander das erste Mal begegnet waren, hatte Milgrim keine Fragen stellen wollen. Sleight hatte in
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