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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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erinnerte, das Milgrim gesagt hatte, aber sie hatte vergessen, was. Sie schaute sich suchend nach ihm um, konnte ihn aber nirgendwo entdecken.
    »Haben Sie was verloren?«
    »Ich bin mit jemandem hier. Aber egal. Bitte.«
    »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen bei dieser Sache helfen sollte. Wahrscheinlich nicht. Und eigentlich kann ich es auch gar nicht.«
    »Warum das?«
    »Weil ich nicht mehr eingeweiht bin. Weil sie deutlich schwerer zu bekommen sind, seit ich in Melbourne mit Clammy die Jeans gekauft habe.«
    »Aber Sie könnten mir doch sagen, was Sie wissen«, sagte Hollis. George beschäftigte sich unterdessen damit, die Chromständer der Schneiderpuppen zusammenzuklappen — der Stand wurde geschlossen.
    »Haben Sie jemals als Modell gearbeitet?« »Nein.«
    »Ich schon«, sagte Meredith. »Zwei Jahre lang. Ich hatte einen Agenten, der mich auf Trab hielt. Das ist wirklich das Entscheidende, dein Agent. New York, L.A., überall in Westeuropa, zurück nach Australien wegen weiterer Jobs, dann wieder New York. Wenn man siebzehn ist, kommt man damit klar, selbst wenn man kein Geld hat. Fast buchstäblich kein Geld. Einen Winter habe ich hier zusammen mit drei anderen Mädchen in einem schäbigen Hotel gewohnt. Kochplatte, winziger Kühlschrank. Acht Euro pro Woche ›Taschengeld‹. So haben sie das genannt. Und davon musste ich leben. Nicht mal eine Carte Orange für die Metro konnte ich mir leisten. Ich bin überallhin zu Fuß gegangen. Obwohl ich in der Vogue war, konnte ich mir das Heft nicht kaufen. Die Honorare wurden fast komplett aufgefressen, bevor der Scheck bei mir eintraf, und die Schecks kamen immer zu spät. So läuft das, wenn man zum Kanonenfutter gehört, so und nicht anders. Ich habe in New York auf Sofas geschlafen und auf dem Boden einer Wohnung in Mailand, in der es keinen Strom gab. Dabei wurde mir immer mehr klar, dass die ganze Branche in hohem Maße dysfunktional ist.«
    »Die Arbeit als Modell?«
    »Die Modebranche. Neben einigen der anderen Mädchen verstand ich mich am besten mit den Stylisten - Leuten, die für die Aufnahmen hier und dort etwas richteten und alle möglichen Requisiten besorgten. Manche von denen hatten hervorragende Kunstakademien besucht, und das hatte ihnen jeglichen Spaß an der Sache verdorben. Sie wollten nicht das werden, wozu sie ausgebildet worden waren, und eigentlich ist das System auch darauf angelegt, dass das nur wenigen Leuten überhaupt gelingt. Aber sie hatten sich dabei eine Reihe von Fertigkeiten angeeignet, die sie zu genialen Stylisten machten. Außerdem waren sie auf der Kunstakademie zu so etwas wie Meistern der Systemanalyse geworden. Sie hatten einen guten Riecher dafür, wie die Branche wirklich lief, was sich wirklich verkaufte. Und danach suchten sie unentwegt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Und ich habe ihnen aufmerksam zugehört. Und alle von ihnen waren Scouts. «
    Hollis nickte - diesen Begriff hatte Pamela ihr erklärt.
    »Sie spürten ständig Dinge auf. Juwelen unter Bergen von Plunder. Sie waren in der Lage, Dinge als das zu erkennen, was sie waren. Hatten ein Auge für Details. Und wussten natürlich, wo sie alles wieder verkaufen konnten. Das habe ich mir mit der Zeit angeeignet. Hat mir eine Menge Spaß gemacht, ehrlich. Und dabei habe ich ein Paar Schuhe nach dem anderen durchgelaufen.«
    »Hier?«
    »Überall. Viel in Mailand. Und immer hörte ich den Stylisten zu, wie sie, ohne darüber nachzudenken, Vorträge über die Verkommenheit der Branche hielten. Was meine Freundinnen und ich als Modelle durchmachten, war nur die Spiegelung von etwas Größerem, Umfassenderem. Alle warteten auf ihren nächsten Scheck. Die ganze Branche eiert herum, wie ein Einkaufswagen, dem ein Rad fehlt. Man kann ihn nur in Bewegung halten, indem man sich auf bestimmte Weise gegen ihn stemmt, aber wenn man stehen bleibt, fällt er um. Saison für Saison, Show für Show muss man den Druck aufrechterhalten.«
    Das alles erinnerte Hollis an eine Curfew-Tour, auch wenn sie es nicht laut sagte. Sie trank einen Schluck von dem ungesüßten Américain, der allmählich kalt wurde, und hörte weiter zu.
    »Meine Großmutter ist gestorben, und sie hat mir, als einzigem Enkelkind, etwas Geld hinterlassen. Mein Agent hat bei der Agentur gekündigt und ganz aufgehört. Daraufhin hab ich mich am Cordwainers beworben, dem London College of Fashion. Von dem Modelljob hatte ich genug. Schuld waren die Laufschuhe.«
    »Turnschuhe?«
    »Die ich mir durchgelaufen hab. Die

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