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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Heidi.«
    Die blassgoldenen Ideogramme schwammen noch immer in Tränen.

34. Der Auftragsfluss
    Milgrim erwachte, als auf der Straße - oder in seinem Traum - unter Dröhnen und Kettenrasseln ein großes Fahrzeug vorbeifuhr. Er hatte bei offenem Fenster geschlafen.
    Er richtete sich auf und sah auf den leeren Bildschirm von Hollis' Laptop, der auf dem gepolsterten Sims vor dem Fenster stand. Die Batterie musste aufgeladen werden, aber sie hatte ihm kein Ladegerät gegeben. Wahrscheinlich würde es ausreichen, um nachzuschauen, ob Winnie auf seine Nachricht am Abend zuvor geantwortet hatte. Eigentlich hatte er auch noch Pamela die Fotos von Laubfrosch schicken wollen und das Kabel gekauft, das er dafür brauchte, aber nach seiner Unterhaltung mit Bigend war er sich nicht sicher, ob er dem E-Mail-System von Blue Ant trauen konnte. Vermutlich hatte Sleight das ganze System eingerichtet. Was für Schwierigkeiten Bigend deswegen wohl zu erwarten hatte?
    Ohne das Neo und mit ausgeschaltetem Laptop wusste er nicht, wie spät es war. Wahrscheinlich konnte er es über den Fernseher herausfinden, aber er beschloss, stattdessen unter die Dusche zu gehen. Wenn es Zeit zum Aufbruch war, würde Hollis ihn anrufen.
    Die Dusche hatte einen Telefonhörergriff, und die Kabine war äußerst schlicht gehalten. Er putzte sich mit einer Hand die Zähne, während er sich mit der anderen abduschte. Seine batteriebetriebene Zahnbürste dröhnte in dem kleinen Raum. Beim Abtrocknen dachte er über Bigend nach, der die Geschehnisse bei Blue Ant offenbar als eine Art Flächenbrand betrachtete, wie ein Buschfeuer auf dem Nature Channel, ausgelöst durch ein sonst recht nützliches Übermaß an Intelligenz und Ehrgeiz.
    Er zog seine neuen Socken und die Unterwäsche an und ein ungetragenes, aber zerknittertes Hemd von Hackett. Er musste an die Russinnen im Aufzug und an Laubfrosch denken und zuckte unwillkürlich zusammen. Die Speicherkarte mit den Fotos von Laubfrosch schob er in seinen linken Socken.
    Dann ging er um das Bett herum und blickte auf die Pariser hinunter, die den Gehsteig auf der anderen Straßenseite entlangliefen. Ein Mann mit einer graumelierten Löwenmähne in einem langen dunklen Mantel. Eine großgewachsene junge Frau mit sehr hübschen Stiefeln. Er sah sich suchend nach Fiona um und erwartete halb, sie irgendwo auf ihrem Motorrad sitzen und Wache halten zu sehen. Schließlich schaute er zum Himmel hoch, aber auch der Pinguin war nirgendwo zu entdecken.
    Im gegenüberliegenden Haus ging ein winziges Mansardenfenster auf, und eine junge Frau mit kurzen dunklen Haaren schob Kopf und Schultern hindurch, hinaus in den Morgen, eine Zigarette zwischen den Lippen. Milgrim nickte. Süchte wurden befriedigt. Er setzte sich auf die gepolsterte Bank und loggte sich bei Twitter ein. Keine Winnie. Es war fünf nach sieben, stellte er fest. Früher, als er gedacht hatte.
    Er packte seine Tasche und legte den Laptop als Letztes hinein. Was würde er tun, wenn er ihn Hollis zurückgegeben hatte? Wie sollte er dann mit Winnie in Kontakt bleiben? Winnie war der Grund dafür, dass ihn ein merkwürdiges Gefühl beschlich, wenn er an das interne Buschfeuer bei Blue Ant dachte. Ohne sie wäre die Sache wahrscheinlich einfach nur interessant gewesen, da Bigend sich deswegen keine großen Sorgen zu machen schien. Allerdings hatte er auch noch nie erlebt, dass sich Bigend wegen irgendetwas Sorgen machte. Im Gegenteil, wenn sich andere Leute Sorgen machten, wurde es für Bigend überhaupt erst spannend. Und Milgrim wusste, dass Bigends Interesse seltsam ansteckend sein konnte. Der Gedanke, Winnie das erklären zu müssen, bereitete ihm Unbehagen.
    Er schaute sich noch einmal im Zimmer um, ob er auch nichts vergessen hatte, und entdeckte einen seiner Socken unter der Bettkante.
    Er stopfte ihn in die Tasche, hängte sie sich um und verließ das Zimmer, ohne es abzuschließen. Die Zimmermädchen waren bereits unterwegs, aber er sah sie nicht, nur ihre Metallwagen mit Handtüchern und winzigen Plastikfläschchen voll Shampoo. Er gelangte zur Treppe des Gebäudes, die sich unter großen, braunfleckigen Holzbalken nach unten wand, die in Amerika unmöglich so alt sein konnten, wie sie es hier zweifellos waren.
    Er ging hinunter und kam auf jedem Stockwerk an Fenstern vorbei, die auf einen Hof hinausgingen, in den der Morgen noch nicht vorgedrungen war.
    Im Erdgeschoss fand er ohne große Schwierigkeiten das Foyer, wo bereits Geschirr klapperte. Hollis war

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