System Neustart
bringen. Wenn jemand in der Lage wäre, sie zu erfassen, wäre der Markt nicht mehr real.«
»Warum?« Sie sah aus dem Fenster über den straff gespannten schwarzen Draht hinweg, an dem der graue Leinenvorhang hing. »Unser Taxi ist da.«
»Weil der Markt genau darin besteht, dass niemand in der Lage ist, den Auftragsfluss zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erfassen.« Er schob seinen Stuhl zurück, stand auf und steckte sich den Rest seines Croissants in den Mund. Kauend hob er seine Tasche hoch. Er schluckte und trank dann seinen Kaffee aus. »Ihren Computer gebe ich Ihnen im Zug zurück.«
Sie hinterließ etwas Kleingeld auf dem Tischtuch. »Sie können ihn behalten, wenn Sie ihn brauchen.«
»Aber er gehört Ihnen!«
»Ich habe ihn vor drei Monaten gekauft, weil ich dachte, ich würde ein neues Buch anfangen«, sagte sie und erhob sich. »Seither habe ich ihn ungefähr dreimal benutzt. Ich habe ein paar E-Mails auf der Festplatte, aber die kann ich auch auf einen Stick ziehen. Wenn ich einen Computer brauche, kann Blue Ant mir einen bezahlen.« Sie ging auf die Rezeption zu, wo sie ihre Tasche abgestellt hatte.
Milgrim folgte ihr. Er war so überrascht über das Geschenk, dass er den Auftragsfluss völlig vergessen hatte. Seit er für Hubertus arbeitete, hatte er einige Dinge erhalten, aber die hatte er lediglich als Ausrüstung betrachtet. Das war nichts Persönliches. Hollis hatte ihm etwas angeboten, das eigentlich ihr gehörte.
Außerdem hatte sie ihm auch schon ihr Kunstbuch geschenkt, erinnerte er sich. Im Zug nach London würde er weiter darin lesen können.
Sie gaben dem Mann an der Theke ihre Zimmerschlüssel und gingen hinaus zu dem wartenden Taxi.
35. Dongle
Während der Zug den Gare du Nord verließ, vorbei an regennassem Beton und den verschlungenen Kalligraphien der Spray-Painter, gab sie Milgrim das weiße Ladegerät des Air sowie zwei weitere Kabel, über deren Zweck sie sich nie ganz klar gewesen war. Dann kopierte sie ihre wenigen E-Mails auf ihren Schlüsselring, der wie ein echter Schlüssel geformt war und den sie bei Staples in West Hollywood gekauft hatte, als sie angefangen hatte, ihr Buch zu schreiben. Sie änderte den Namen des Rechners in »Milgrims Mac«, schrieb ihm das Passwort auf einen Zettel und lieh ihm das USB-Modem, für das sie sich auf Inchmales Drängen hin letzten Monat angemeldet hatte. Wie sie ihren E-Mail-Account löschen sollte, wusste sie nicht, aber das konnte sie in London klären.
Seine Freude über dieses Geschenk war so kindlich naiv und unmittelbar, dass es sie fast traurig stimmte. Sie vermutete, dass ihm schon lange niemand mehr etwas geschenkt hatte. Allerdings würde sie daran denken müssen, den Dongle wieder an sich zu nehmen, sonst würde sie dafür bezahlen, wenn er mobil ins Internet ging.
Sie beobachtete, wie er augenblicklich in seiner Tätigkeit aufging in ihr versank wie ein Stein in Wasser. Er befand sich ganz woanders, was typisch war für Leute, die vor einem Bildschirm saßen. Sein Gesichtsausdruck war der eines Menschen, der ein Fahrzeug steuert.
Sie lehnte sich zurück und starrte auf die französische Vegetation hinaus, die an ihr vorbeiraste und immer wieder vom Stakkato der Strommasten unterbrochen wurde. Bigend wollte also, dass sie direkt ins Cabinet ging. Das war gut. Sie musste sich mit Heidi treffen, damit diese ihr über den Berg helfen und ihr zureden konnte, Garreths Notfallnummer anzurufen. Und falls das ergebnislos blieb, würde sie Milgrims Vorschlag folgen und sich an Bigend wenden. Bigend verhandelte hart. Sie hatte keine Ahnung, was sie ihm bieten konnte, und wollte es eigentlich auch nicht herausfinden. Und Garreth, da war sie sich ziemlich sicher, wäre sehr unglücklich darüber, auf Bigends Radar aufzutauchen. Bisher hatte sie niemandem etwas von ihm erzählt, mit Ausnahme von Heidi und jetzt Milgrim. Was Garreth und der Alte da trieben, entsprach - soweit sie es überhaupt nachvollziehen konnte — allzu sehr den Merkwürdigkeiten, für die Bigend sich interessierte. Es war bestimmt keine gute Idee, die beiden in irgendeiner Weise zusammenzubringen, und sie hoffte, dass es ihr gelingen würde, einen anderen Weg zu finden.
Sie schaute zu Milgrim hinüber, der noch immer ganz in das versunken war, was er tat. Was auch immer es war, sie vertraute ihm. Er wirkte irgendwie durchschaubar, als gäbe es, so seltsam das klang, keine Motive, die sein Handeln bestimmten. Und er war ausgenutzt worden. Bigend hatte ihn zu
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