T Tödliche Spur: Thriller (German Edition)
dass …
Sie schloss die Augen und spürte einen Kloß in der Kehle. Tränen brannten hinter ihren Lidern. Nein. Tränen brachten sie nicht weiter. Verwünschungen auch nicht.
Sie ballte die Fäuste und ließ den Kopf sinken.
Konzentrier dich.
Lass dich nicht vom Schmerz überwältigen.
Trotzdem war der Schmerz da, immer, riss an ihrer Seele, erinnerte sie ständig daran, dass sie die Schuld an Noahs Verschwinden trug. Wäre sie bloß nicht zu Wyatt und dieser verfluchten Party zurückgekehrt …
Wenn schon niemand anders nach ihm sucht, musst du ihn eben finden.
Sie schluckte, schob entschlossen das Kinn vor und zwang ihre Gedanken, zu jener schicksalhaften Nacht vor zwei Jahren zurückzukehren.
Die Party löste sich bald auf, um kurz nach dreiundzwanzig Uhr, doch die meisten Gäste, die im Haus übernachteten, blieben noch unten. Ihr Mann war in seinem Arbeitszimmer gewesen und hatte mit Onkel Crispin, dem Vater von Avas Cousins und Cousinen, ein Glas von Wyatts seltenem Scotch genossen.
Trent und Ian hatten in einem an die Bibliothek angrenzenden Raum Billard gespielt; ihre Schwester Zinnia war in den Garten gegangen, um einen Anruf auf dem Handy entgegenzunehmen. Durch die halb geöffnete Glastür war Kälte ins Zimmer gedrungen, und sie hatten mit angehört, wie sie ihren aktuellen Freund Silvio zusammenstauchte, weil der sich geweigert hatte, seine Feiertage »auf irgendeinem Scheißfelsen am Arsch der Welt« zu verbringen. Er hatte es vorgezogen, nach Italien zu fliegen, weshalb Zinnia stinkwütend war. Befeuert von mehreren Irish Coffees und ihrem Temperament, das zu zügeln nie ihre Stärke gewesen war, hatte sie Silvio fertiggemacht.
Tante Piper hatte ihre hohen Schuhe ausgezogen und saß lesend im Wohnzimmer, während ihr Sohn Jacob vor der Haustür eine Zigarette rauchte. Ava erinnerte sich, dass sie ihn durch eins der beiden hohen Fenster, die die Haustür flankierten, gesehen hatte. Er hatte im Schatten der Eingangsbeleuchtung gestanden, die Spitze seiner Zigarette glühte rot in der Dunkelheit, wenn er einen Zug nahm.
Jewel-Anne hatte sich bereits nach oben in ihr Apartment zurückgezogen; sie war das einzige Familienmitglied, das zuzugeben hatte, oben im ersten Stock gewesen zu sein, doch sie hatte geschworen, Noahs Zimmer nicht betreten zu haben. Später hatte sie ausgesagt, seine Zimmertür sei geschlossen gewesen, da sei sie sich ganz sicher.
Ava wusste ganz genau, dass sie die Tür, die zu schwer war, als dass ein Luftzug sie hätte zuwerfen können, ein Stück offen gelassen hatte. Jemand musste sie mit Absicht geschlossen haben.
»Wer?«, flüsterte sie, kritzelte die drei Buchstaben mit einem dicken Fragezeichen versehen auf ihren Notizblock und umkringelte sie wieder und wieder. Daneben schrieb sie: WARUM ?
Sheriff Biggs und seine Detectives meinten, es bestünde die Möglichkeit, dass Noah aufgewacht und aus dem Bett gestiegen sei, um den langen Gang zu der Treppe im rückwärtigen Teil des Hauses entlangzuwackeln, wo ihn niemand der unten Feiernden bemerken würde. Dort, so vermuteten sie, war er womöglich die Stufen in den zweiten Stock hinaufgeklettert. Unter dem Dach waren früher die Dienstboten untergebracht gewesen. Die Räumlichkeiten standen seit langem leer, eine Durchsuchung der vielen kleinen Zimmer hatte nichts ergeben. Eine andere Möglichkeit, so die Polizei, war, dass er über die Hintertreppe – die früher fast ausschließlich von den Dienstboten benutzt wurde und die heute fast niemand mehr nahm – in die Speisekammer hinuntergestiegen, durch die Küche zur Hintertür und nach draußen gegangen war, während das Personal in den anderen Räumen zu tun oder ihn in dem Trubel schlichtweg nicht bemerkt hatte. Es war auch nicht ausgeschlossen, dass er das Souterrain erkundet hatte, doch die Suche in den Kellerräumen hatte keinen Hinweis auf Noah ergeben.
Natürlich war die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass Noah entführt worden war, doch in den folgenden Tagen ging weder ein Erpresseranruf noch ein Erpresserbrief ein, so dass Sheriff Biggs zu seiner ursprünglichen Theorie zurückkehrte, der Junge sei vermutlich nach draußen geschlichen und habe sich verirrt.
Der Bleistift zerbrach in Avas Hand.
»Niemals!«
Sie glaubte einfach nicht daran, auch wenn Biggs durchaus Gründe für seine Vermutung angeführt hatte.
Ausreden,
dachte sie jetzt.
Ava hatte die Vorstellung, dass Noah das Haus verlassen hatte, immer für absurd gehalten, doch eins war
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