Taberna Libraria
Vogel, den Silvana nicht zuordnen konnte, hockte zwitschernd auf der Motorhaube von Corries himmelblauem Citroën HY.
Unvermittelt vernahm Silvana leise Stimmen, die von der Straße her zu kommen schienen.
"Was für ein herrlicher Morgen, nicht wahr Jungs?"
"Und nur noch vier Tage bis zur Eröffnung."
"Ob die beiden das wohl schaffen?"
"Noch hat ihnen niemand etwas gesagt."
"Sollten wir vielleicht?"
"Untersteh dich, Snick!"
Vorsichtig ging Silvana die kleine Rampe zum Hof hinunter und öffnete das große Tor zur Straße. Sie sah nach links und nach rechts, doch es war niemand zu sehen. Weder auf ihrer, noch auf der anderen Seite des Gehsteigs. "Das ist doch verrückt", murmelte sie. "Das kann nicht sein." Langsam ging sie auf die Steinfiguren zu, die den Eingang flankierten. Vier Stück. Vier Stimmen … Abwehrend schüttelte sie den Kopf. "So ein Blödsinn." Trotzdem blieb die Straße leer, es gab keinen Hinweis auf den oder die Sprecher, die sie gerade gehört hatte. So wie früher …
Aber warum ausgerechnet hier und jetzt?
Das Beste war vermutlich, wenn sie einfach nicht mehr darüber nachdachte …
Mit einem letzten Blick auf die geflügelten Grotesken, die Corrie unbedingt noch schwarz anstreichen wollte, ging sie wieder zurück zur Rampe.
Dort vernahm sie bereits die ganz reale Stimme ihrer Freundin: "Wir haben keinen Toast mehr! Und das dunkle Körnerbrot ist auch fast alle!"
"Und das heißt?", fragte Silvana laut zurück, obwohl sie die Antwort schon kannte. Wo hatte sie noch gleich den Korb hingestellt?
"Würdest du zur Bäckerei gehen?"
"Und der Großeinkauf?"
"Den mache ich heute Abend. Versprochen!"
Silvana streckte kurz den Kopf in den Laden, machte den mit Büchern überladenen Einkaufskorb neben dem halbgefüllten Literaturregal aus, und ihre Freundin, die mit den Einsätzen für das Bestellbuch-Regal rang. "Du brauchst sicher keine Hilfe?"
"Nach einem guten Frühstück geht das fast wie von selbst", ächzte Corrie und versuchte die Trennbretter aus Massivholz in das Fach über ihrem Kopf zu bugsieren.
"Tu dir aber bitte nicht weh, während ich weg bin", mahnte Silvana während sie die Werke von Salinger, Joyce, Hesse und anderer aus dem Korb kippte.
"Werde mir Mühe geben damit zu warten, bis du wieder da bist."
"Und wenn du doch nicht darauf warten kannst, dann schrei bitte wenigstens so laut, dass ich dich in der Bäckerei hören kann."
"Zumindest so laut, dass Mrs. Puddle nebenan mich hört und den Krankenwagen rufen kann."
"Vielleicht solltest du besser die Bücher weiter einräumen, bis ich wieder da bin, um dir bei dem Rest zu helfen", riet Silvana.
Corrie ließ den Einsatz polternd auf den Boden fallen. "Vielleicht hast du da gar nicht so unrecht." Sie sah sich suchend um, bis ihr Blick an den Stapeln Bilderbücher hängenblieb. "Die sehen ungefährlich aus."
Mit dem Korb über dem Arm machte sich Silvana darauf grinsend auf den Weg zum Bäcker, der nur eine gute Viertelstunde Fußweg weit entfernt von ihnen auf der anderen Seite des Wohngebiets lag. Unterwegs betrachtete sie einmal mehr die Vorgärten der Wohnhäuser, die bei Sonnenschein gleich viel einladender wirkten als unter einem wolkenverhangenen Frühlingshimmel. Von Blütenpracht war zu dieser Zeit des Jahres allerdings noch nicht allzu viel zu sehen und so war es mehr die Dekoration, die Silvanas Blick auf sich zog. Jeder dieser Gärten bekam durch sie seine eigene, unverwechselbare Note.
Vor einem der Häuser hatte sie eine pittoreske Windmühle entdeckt, die als Haus für Vogelfutter diente; die fetten Knödel in ihren Netzen und die sonnenblumenkerngespickten Ringe hingen von den hölzernen Speichen der Mühlenflügel herab.
Viel war jedoch noch nicht herausgepickt worden. Silvana vermutete, dass die Tiere zum einen selbst bereits wieder genug Futter fanden, und zum anderen auf der Hut vor Katzen waren. Einen ganzen Pulk davon sah Silvana nicht zum ersten Mal nur ein paar Häuser weiter. Es waren wenigstens fünf. Und unter ihnen sah Silvana auch heute kein einziges helles Tier - alle waren schwarz wie Corries Eyeliner.
Vor dem weiß getünchten Mehrfamilienhaus ein paar Meter weiter verlangsamte Silvana ihre Schritte wie schon die anderen Male, als sie hier vorbeigekommen war, um die Skulpturen im Vorgarten zu betrachten. Sie waren aus Holz und aus Stein, allesamt schmal wie Zaunpfähle aber von immer unterschiedlicher Höhe. Manche waren klein wie Kaninchen, andere reichten fast bis an die Dachrinne
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