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Tabu: Roman (German Edition)

Tabu: Roman (German Edition)

Titel: Tabu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand von Schirach
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sich beraten lassen, dachte Biegler. Es gab in einer solchen Situation nur zwei Strategien: leugnen oder schweigen. Leugnen war nicht mehr möglich.
    »Dann habe ich keine Fragen an den Zeugen«, sagte der Vorsitzende. »Hat einer der anderen Prozessbeteiligten eine Frage an den Zeugen oder kann er entlassen werden?«
    Staatsanwältin Landau schüttelte den Kopf.
    »Ich habe ein paar Fragen an den Zeugen«, sagte Biegler. Die Zuschauer wurden wieder unruhig.
    »Ich bitte um Ruhe«, sagte der Vorsitzende. Er wandte sich an Biegler. Er klang ungeduldig, fast zynisch. »Natürlich, Herr Verteidiger, ich hätte mir das auch nicht anders vorstellen können. Also bitte.«
    Biegler ging nicht auf den Vorwurf ein. Er hatte das Mandat übernommen, um diese eine Sache zu klären. Er musste es wenigstens versuchen. »Wie lange sind Sie schon Polizeibeamter?«, fragte er.
    »Seit 36   Jahren«, sagte der Polizist.
    »Und seit wann sind Sie bei der Mordkommission?«
    »Seit zwölf Jahren.«
    »In wie vielen Tötungsverbrechen haben Sie bisher ermittelt?« Biegler hatte den Polizisten in vielen Verfahren als Zeuge erlebt. Er kannte seine Arbeit.
    »Das weiß ich nicht mehr, es waren sehr viele«, sagte der Polizist.
    »In der ganzen Zeit, in der Sie jetzt Polizist sind, also in den vergangenen 36   Jahren: Wie oft wurden Ermittlungsverfahren gegen Sie geführt?«
    »Noch nie.«
    »Es gab also keine Verfahren gegen Sie wegen Bedrohung, Nötigung, Körperverletzung oder einer anderen Straftat?«
    »Es ist das erste Mal.« Der Polizist sah kurz zu Landau. Sie reagierte nicht.
    »Man kann also sagen, dass Sie ein sehr erfahrener Polizist sind, der die Gesetze kennt und noch nie mit ihnen in Konflikt gekommen ist.«
    »Das kann man so sagen.«
    »Sie haben kurz vor dieser Hauptverhandlung einer Boulevardzeitung ein Interview gegeben. Warten Sie bitte.« Biegler blätterte in der Akte, die auf seinem Tisch lag. »Hier habe ich es.« Er hielt ein Zeitungsblatt hoch.
    »Ich kenne das Interview nicht«, sagte Landau.
    »Dann besorgen Sie es sich«, sagte Biegler, »und unterbrechen Sie mich nicht mehr.«
    Er wandte sich wieder an den Polizisten. »In diesem Interview sollen Sie Folgendes gesagt haben – ich zitiere: ›Stellen Sie sich vor, ein Terrorist versteckt irgendwo in Berlin eine Atombombe. Sie geht in einer Stunde hoch. Wir haben den Terroristen gefangen, aber wir wissen nicht, wo seine Bombe ist. Ich muss nun entscheiden. Soll ich ihn foltern und vier Millionen Menschen retten? Oder soll ich meine Hände in den Schoß legen und nichts tun?‹ Trifft es zu, dass Sie das so gesagt haben?«
    »Dazu möchte ich nichts sagen.«
    »Wieso? Weil Sie sich damit selbst belasten könnten?«, fragte Biegler.
    »Der Zeuge darf auch darauf die Auskunft verweigern«, sagte Landau.
    »Wirklich?«, fragte Biegler und sah den Polizisten weiter an. »Wollen Sie tatsächlich nicht mehr dazu stehen, was Sie einer Zeitung mit Millionenauflage gesagt haben? Aus Angst vor Strafverfolgung? So wie die Verbrecher, die Sie sonst verfolgen?«
    »Herr Vorsitzender, ich beantrage, dem Verteidiger das Wort zu entziehen. Er bedrängt den Zeugen«, sagte Landau.
    »Der Zeuge ist erfahren genug, um sich selbst zu entscheiden«, sagte der Vorsitzende. »Ich habe ihn belehrt. Er weiß, dass er nicht antworten muss.«
    Biegler sah den Polizisten immer noch an. Der Polizist drehte sich auf dem Stuhl zu ihm. Na also, ein erster Schritt, dachte Biegler.
    »Noch einmal: Wollen Sie uns nicht etwas zu diesem Interview sagen? Es geht noch gar nicht um die Vernehmung des Angeklagten. Nur um Ihre Einstellung.«
    Der Polizist öffnete die beiden Knöpfe seiner Anzugjacke. »Na gut«, sagte er. Er atmete laut aus. »Ich würde die Aussage aus Terroristen herausholen. Wenn es nicht anders geht, auch mit Folter. Meine Aufgabe ist es, die Bürger zu schützen. Dazu stehe ich.«
    Ein Zuhörer applaudierte. Der Vorsitzende sah ihn an. »Wenn sich das noch einmal wiederholt, lasse ich Sie aus dem Saal entfernen«, sagte er.
    »Und was«, fuhr Biegler fort, »würden Sie machen, wenn Ihr Gefangener trotzdem nichts sagt? Er ist ja ein Terrorist, er wurde ausgebildet, Folter zu überstehen. Er lacht Sie aus. Nun wissen Sie aber, dass der Mann eine vierzehnjährige Tochter hat. Sie sind sich sicher, dass er reden wird, wenn Sie die Tochter vor seinen Augen foltern. Machen Sie auch das?«
    »Nein, ich würde das nicht tun. Die Tochter ist unschuldig.«
    »Das sind die anderen Menschen

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