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Tabu: Roman (German Edition)

Tabu: Roman (German Edition)

Titel: Tabu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand von Schirach
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gereinigt habe und dass es niemanden gab, der sorgfältiger mit seinen Gewehren war. Er wollte ihr sagen, dass er die Schrotpatronen auf dem Tisch gesehen habe und das Blut an der Wand und dass der Vater keinen Kopf mehr hatte. Das alles habe er gesehen und verstanden und ihre Geschichte sei nicht die Wahrheit. Er wollte ihr von der Jagd erzählen, von den Wiesen, der Erde und den Farnhügeln am Morgen. Aber all die Ereignisse, die Gedanken, Farben und Gerüche standen nur roh und halb bewusst nebeneinander, er konnte sie noch nicht miteinander verbinden.
    Dann stand seine Mutter auf und verließ das Zimmer.

6
    Verwandte, die Sebastian nicht kannte, reisten zur Beerdigung an, manche strichen ihm über den Kopf und fragten, ob er sich noch an sie erinnere. Eine alte Frau mit einem lila Haarreifen drückte Sebastian an sich, ihr Kleid roch nach Mottenkugeln.
    Das ganze Dorf war gekommen. Während der Priester am offenen Grab sprach, stellte sich Sebastian zu seinem Freund, der auch einen dunklen Anzug tragen musste. Der Freund flüsterte, das Floß sei jetzt fertig, es schwimme wieder, es sei sogar größer als im letzten Jahr und viel besser. Wann er wiederkomme, wollte der Freund wissen, sie würden nur auf ihn warten.
    Am Nachmittag saßen die Verwandten im Garten des Hauses. Die Köchin hatte Sandkuchen gebacken, die Sahne zerlief in der Sonne. Am Anfang waren die Gäste befangen, aber nach kurzer Zeit sprachen alle durcheinander.
    Sebastians Mutter schlug mit einer Gabel gegen ein Glas. Die Gespräche verstummten, alle drehten sich zu ihr. Sie bedankte sich, dass so viele zur Beerdigung gekommen seien, das habe ihr gutgetan. Sie bitte um Verständnis, sagte sie, aber sie werde das Haus verkaufen. Ihre Stimme zitterte nicht. Dann setzte sie sich wieder.
    Es war immer noch still, als der Bruder des Vaters aufstand. Er wankte, stützte sich mit den Händen auf, das Tischtuch verrutschte, ein Kuchenteller zersprang auf dem Steinboden. Er hatte getrunken.
    »Mein Bruder und ich wurden in diesem Haus geboren. Ich liebe und ich hasse dieses Haus, diesen See, diesen Park. Das alles hier liebe und hasse ich«, sagte er mit einer Handbewegung. Er lallte. »Sie hat ja recht. Mein Bruder und ich glaubten, wir könnten die Welt neu beginnen. Aber nichts kann man neu beginnen, gar nichts, es ist immer schon alles da. Er konnte nicht werden, was er wollte, und ich konnte es auch nicht. Ich muss, wisst Ihr, ich muss …« Seine Frau zog ihn am Ärmel. »Ja, ja«, sagte er, »lass mich.« Er fiel trotzdem zurück in den Korbstuhl. Er nahm sein Glas. »Ich trinke auf das Ende«, sagte er, und leiser fügte er hinzu: »Gott sei Dank, mein armer Bruder, er hat es hinter sich.«
    Sebastian saß auf einer Fensterbrüstung und hörte seinem Onkel zu. Er verstand ihn nicht. Der Onkel konnte Schattenrisse aus Papier schneiden und damit Theaterstücke aufführen. Er hatte eine Inderin geheiratet, die ernst und fremd war. Seit fast zwanzig Jahren lebte er in Delhi. Einmal waren alle zusammen auf Norderney gewesen. Der Onkel war mit Sebastian sehr früh auf einem Fischerboot rausgefahren. Er hatte Gin getrunken. Sebastian erinnerte sich, wie er mit der gelben Flasche in der Mitte des Boots gestanden hatte. Der Onkel hatte Sebastian zu sich gerufen, ihn umarmt und geschrien: »Das Meer ist so furchtbar dumm.« Dann war er umgefallen. Die Fischer hatten ihn später vom Boot getragen.
    In der Nacht nach der Beerdigung stand Sebastian auf. Er ging im Schlafanzug hinunter zum See, er setzte sich auf den Holzsteg. Vielleicht könnte er heimlich hierbleiben, überlegte er. Im rechten Flügel gab es ganz hinten ein kleines Zimmer, in das man nur durch den Wandschrank kam, das wäre ideal. Nicht einmal die Köchin kannte es. Dort könnte er sich verstecken, sein Freund würde ihm Essen bringen, und wenn er erwachsen wäre, würde er das Haus zurückholen.
    Der Vater hatte gesagt, das Haus würde immer da sein, seine Eltern und Großeltern und alle Vorfahren hätten hier gelebt und Sebastian und seine Kinder und seine Enkel würden auch noch hier leben. Ein Mensch sei verloren ohne sein Zuhause, hatte er gesagt, auch wenn so ein altes Haus oft anstrengend sei.
    Sebastian dachte daran und er dachte an seinen Plan und schließlich schlief er dort draußen auf dem Steg ein.

7
    Zwei Wochen nach der Beerdigung begann die Mutter aufzuräumen. Sie müsse den Hausstand jetzt »auflösen«, sagte sie.
    Zuerst kam ein Antiquitätenhändler aus München, er

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