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Tabu: Roman (German Edition)

Tabu: Roman (German Edition)

Titel: Tabu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand von Schirach
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die Allee zum Stall hinunter.
    Sebastian blieb im Schatten der alten Kastanien sitzen. Die großen Ferien lagen vor ihm. Vielleicht würde er den Holzkahn im Bootshaus ausbessern, er musste neu gestrichen werden. Sebastian erinnerte sich, wie sie in dem Boot zu dritt über den See gefahren waren, der Vater hatte gerudert, während er auf dem Bauch gelegen hatte, das Kinn auf die Bordwand gestützt. Er war noch sehr jung gewesen, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt. Seine Mutter hatte ein helles Leinenkleid getragen und steif auf der Mittelbank gesessen. Damals hatte sie noch viel gelacht, sie hatte aufgeschrien, wenn das Boot schwankte und der Vater sie mit den Paddeln nass spritzte. Sebastian hatte seine Hände in den kalten See getaucht, er hatte Forellen, Barsche und Renken gesehen und manchmal hatte er das warme Parfum seiner Mutter riechen können: Rosen, Jasmin und Orangen auf Wasser.
    Das alles schien ihm lange her zu sein. Er wusste jetzt, dass seine Eltern sich nicht mehr mochten. Oft sah er sich die Hochzeitsalben im Zimmer des Vaters an. Die Eltern sahen jung und fremd auf den Bildern aus, seine Mutter war unsicher und weich, fast noch ein Mädchen, mit offenem Gesicht und hellen Augen.
    Früher, als Sebastians Eltern noch miteinander redeten, hatte er seine Mutter oft zum Vater sagen hören, er habe keinen Ehrgeiz, keine Disziplin, er habe noch nicht einmal einen richtigen Beruf. Man brauche Ziele im Leben, hatte sie gesagt, das sei das Wichtigste.
    Sebastian holte das Rad aus der Garage, pumpte die Reifen auf und fuhr aus dem Park. In dem letzten Haus vor den Feldern wohnte sein Freund. Die Großmutter des Freundes rief aus dem Fenster, der Junge sei mit den anderen unten bei der Schleuse. Sebastian wendete das Fahrrad, fuhr bis zum Marktplatz zurück und bog hinter der Apotheke in den Feldweg.
    Der Freund stand mit den anderen Jungen aus dem Dorf am Wasser. Obwohl sie sich drei Monate nicht gesehen hatten, begrüßten sie Sebastian so beiläufig, als wäre er nie weg gewesen. Den Tag verbrachten sie damit, das Floß zu reparieren. Es hatte den ganzen Winter im Morast gelegen, die Stämme hatten sich vollgesogen, sie waren schwer und glitschig.
    Sie grillten unreife Maiskolben, die sie auf Stöcke gespießt hatten, der Mais blieb zwischen den Zähnen hängen, er schmeckte nach nichts, aber der Rauch vertrieb die Wespen, und es war gut, am Feuer zu sitzen. Sie schnitten Schilfrohre, zerkleinerten sie, und rauchten sie wie große Zigarren.
    Im Schatten der Erlen war der See kühl und dunkel. Sebastian schwamm weit hinaus, er legte sich auf den Rücken. Wenn er den Kopf hob, konnte er auf der anderen Seeseite das Haus sehen, es leuchtete weiß und leicht in der Sonne. Er sah den Steg dort, das blau gestrichene Bootshaus, er hörte die hellen Stimmen der Freunde am Ufer, und als er die Augen schloss, wurde alles in ihm zu einer einzigen unbenennbaren Farbe.
    Am frühen Abend fuhr Sebastian nach Hause, wusch sich das Gesicht und zog frische Sachen an. Es war zu kühl, um draußen zu essen, die Köchin hatte im Landschaftszimmer gedeckt. Der Vater roch nach Alkohol, er sah müde aus.
    »Ich habe keinen Hunger, Sebastian, ich werde nur etwas trinken.«
    Er ist dünn geworden, dachte Sebastian. Er wusste, dass der Vater nur noch selten zu Hause war, die meiste Zeit verbrachte er auf seiner Jagd in Österreich. Wenn er hier war, blieb er fast immer in seinem Arbeitszimmer. Die Vorhänge dort wurden nicht geöffnet und niemand durfte das Zimmer betreten, wenn er nicht da war. Er lag auf dem Sofa, starrte an die Decke und rauchte. Er sprach immer weniger, seine Anzüge hingen an ihm herunter und er begann schon morgens zu trinken.
    Nach dem Essen gingen sie in das Billardzimmer. Der Vater schwankte.
    »Wollen wir spielen?«, fragte Sebastian.
    »Nein, ich bin zu müde. Spiel du nur, ich leiste dir Gesellschaft.«
    Sebastian ordnete die Kugeln. Der Vater setzte sich mit einem Glas Whisky auf die Fensterbank und zündete sich eine Zigarre an. Manchmal sah er auf den Tisch, dann sagte er in seinem altmodischen Französisch »entrée«, »dedans« und »à cheval«. Sebastian spielte konzentriert eine amerikanische Serie, er trieb die Elfenbeinkugeln an der Bande entlang um den Tisch. Das Klacken der Kugeln auf dem Filz war lange das einzige Geräusch.
    Als es dunkel wurde, stellte er den Queue zurück in den Holzständer. Er setzte sich in den Sessel neben seinen Vater. In der Bibliothek brannte noch Licht, ein

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