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Tabu: Thriller

Tabu: Thriller

Titel: Tabu: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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Am Ende hat er das Gefühl, sie zu kennen. Anita Fjordvik, Studentin. Hauptfach Norwegische Geschichte. Teilzeitjob in einem Vierundzwanzig-Stunden-Kiosk. Halb zusammen mit und permanent sauer auf Espen, einen langhaarigen Typen, der sie eines Abends in ihre Wohnung begleitet und erst um zehn nach drei nachts wieder geht.
    Mal ehrlich… Zehn nach drei! In der Nacht!

Streit

1
    Die Reaktionen fallen noch viel heftiger aus, als er erwartet hatte.
    Die ersten Anrufe gingen bereits während der Sendung ein. Fünf Minuten später war die Telefonzentrale lahmgelegt, und die direkten Durchwahlen in der Redaktion liefen heiß. Die Zuschauer waren empört. Wieder einmal kam das Wolfsrudel aus der Akersgate im Wergelandsveien angehechelt. Das konnten sich die konkurrierenden Fernsehsender doch nicht entgehen lassen.
    Es war spät, als Wolter, Skaug und Kristin ihre Handys und Piepser abschalteten und ins nächtliche Oslo hinausgingen.
     
    Für Kristin waren die nächsten Tage unwirklich, sie gingen ihr an die Substanz. Alles, was Richard Wolter vorausgesagt hatte, traf zu.
    Die Medienkritiker schrieben gehässig, dass Zynismus und Profitgier die journalistische Triebkraft im Fernsehen geworden wäre. Ein Kolumnist vom Dagbladet nannte Wolter »den niederträchtigsten Aasfresser der Journalistik«, am selben Tag, als seine eigene Zeitung auf der Titelseite ein Farbfoto der toten Frau über der Tischorgel abdruckte. VG schrieb in einem Leitartikel, »dass der norwegische Fernsehalltag sich der amerikanisierten Philosophie geöffnet hätte und Kanal 24 kein Mittel scheute, um das Interesse der Zuschauer auf sich zu ziehen«. In der gleichen Zeitung, unter der Überschrift UNAS LETZTE SEKUNDEN, waren zwei Seiten für einen detaillierten Artikel eingeräumt worden, wie der menschliche Organismus zusammenbricht, wenn er von einem Schuss getroffen wird. Klassekampen meinte, das Kultusministerium sollte ernsthaft abwägen, »…diesem rücksichtslosen und Gewalt verherrlichenden Sender, dessen Leitung es Vergnügen zu bereiten scheint, Unmengen Blut und Dreck in die Wohnzimmer der Fernsehzuschauer zu schütten…«, die Konzession zu entziehen. Aftenposten stellte die Frage, ob sich der Fernsehsender unter dem Deckmantel, Journalistik zu betreiben, zum Werkzeug des wahnsinnigen Mörders machen ließ.
    Für die Zeitungen war die Debatte, wie schon so oft vorher, ein Glücksfall.
    Bei den Politikern weckte sie das Bedürfnis, die Medien für sich zu nutzen. Der justizpolitische Sprecher der Arbeiterpartei gab mit der Prinzipienfestigkeit eines Wendehalses bekannt, dass man einen Antrag für ein Verbot der Ausstrahlung von Fernsehbeiträgen stellen wollte, die »eine grobe Verletzung der Menschenwürde« darstellten. Die Zentrumspartei wollte eine Medienkommission ins Leben rufen, die alle Fernsehnachrichten überwachen und jede Übertretung der internen Organe der Medien bei den Gerichten ahnden sollte. Die Christliche Volkspartei meldete sich mit einem eigenen Gesetzesvorschlag zu Wort, der die Ausstrahlung jeglicher Art von roher Gewalt in Nachrichtensendungen untersagte. Ein frischer Repräsentant der Sozialistischen Linkspartei konnte gerade noch vorschlagen, NRK das Monopol für Fernsehnachrichten zu übertragen, bevor er auf eine umweltpolitische Studienreise nach Murmansk geschickt wurde.
    Richard Wolter wurde in einer Diskussionsrunde nach der anderen in der Luft zerrissen. Aftenposten spürte Una Mørchs Eltern in Dänemark auf, die dem norwegischen Fernsehen vorwarfen, »den Tod ihrer Tochter als spekulative Fernsehunterhaltung auszuschlachten«. Der norwegische Journalistenverband arrangierte eine Diskussionsrunde, die in einem Tumult endete. Und die Fachzeitschrift Journalisten brachte auf der ersten Seite ein Bild von Wolter mit der Überschrift HENKER DER ETHIK. Die Zeitungen waren voll von empörten Leserbriefen, und an einem Nachmittag organisierte Blitz eine spontane Demonstration, die in einem Zusammenprall der Polizei und der Demonstranten vor dem Sendegebäude von Kanal 24 resultierte. Eine religiöse Gruppierung rief zu einem Einschaltboykott des Senders auf.
    Aber die Zuschauer flüchteten nicht. Im Gegenteil. Immer mehr schalteten auf Kanal 24, um bloß nichts zu verpassen.

2
    Während der aufgeheizten Debatte biss Kristin die Zähne mit verwegenem Stolz zusammen. Sie machte jeden Tag Aerobic, um die Spannung aus ihrem Körper zu verjagen. Sie hielt die Debatte für ungerechtfertigt und undifferenziert und die

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