Tabu: Thriller
Kollegen von der Presse für Heuchler. Es wollte nicht in ihren Kopf, wieso die Zeitungen mehr an Kanal 24 interessiert waren als an dem Mörder. In den ersten Tagen legte die Presse sicher ebenso viel Augenmerk auf die Ethikdebatte wie auf die Tatsache, dass irgendwo ein gefährlicher, unberechenbarer Mörder frei herumlief.
Dreimal wurde sie zum Verhör bei der Polizei gebeten. Sie hatten eine eigene Ermittlerin dafür abgestellt, die nichts anderes tat, als sie nach ihrem Leben auszufragen. Zum Glück nicht der Typ vom letzten Mal, sondern eine sympathische, junge Frau namens Carlsen. Sie versuchte herauszufinden, ob es Begebenheiten in Kristins Vergangenheit gab, die erklären könnten, wieso die Videobänder an sie geschickt worden waren.
Sie hatte keine Ahnung.
Als die Debatte um »24 Stunden!« allmählich abebbte, ging der Presse kollektiv ein Licht auf, und sie konzentrierte sich erneut voll und ganz auf die Jagd nach dem Täter. VG gab ihm den Spitznamen »Video-Mörder«. Das Dagbladet rief eine »Tod der Gewalt«-Kampagne ins Leben und setzte eine Belohnung von hunderttausend Kronen für denjenigen aus, der durch einen Hinweis zur Verhaftung des Täters beitrug.
Kristin war überzeugt, dass er sich nicht schnappen lassen würde.
3
Der Dienstbesprechungssaal im Polizeipräsidium summte vor erwartungsvoller Spannung.
Kristin war früh losgegangen und hatte einen Platz in den vorderen Reihen ergattert. Während sie wartete, dass die Pressekonferenz anfing, ließ sie den Blick über die Versammlung schweifen. Die Kollegen erinnerten sie an eine Meute ausgehungerter Schlittenhunde, die einen Meter von einem frisch zerlegten Eisbären entfernt angekettet war.
Mehrere Rundfunkanstalten übertrugen die Pressekonferenz live. Die großen Zeitungen hatten ihre erfahrensten Kriminalreporter und Kommentatoren geschickt. Alle waren bis zum Bersten gespannt. Es war durchgesickert, dass die Polizei inzwischen mehr über den Täter wusste und der Durchbruch auf der Pressekonferenz bekannt gegeben werden würde. Überdies hatte man einen Professor hinzugezogen, um ein Persönlichkeitsprofil erstellen zu lassen.
In den Verhören war Kristin klar geworden, dass die Ermittler im Dunkeln tappten. Sie versuchten, sich einen Überblick über den Verkauf von Videokameras zu verschaffen, und schickten verdeckte Ermittler in Läden, in denen man Videokassetten kaufen konnte. Sie durchforsteten die Verbrecherkarteien und kontaktierten psychiatrische Anstalten. Sie überprüften Kristins Bekanntenkreis, ihre Verflossenen und Interview-Partner. Alles, was Aufschluss darüber geben könnte, wieso ausgerechnet sie die Videos bekommen hatte.
Ohne Ergebnis.
Sie kamen in einer Reihe hereinmarschiert. Kristin dachte amüsiert an eine Ente mit ihren Küken: an der Spitze der Polizeipräsident, gefolgt von Runar Vang und Aksel Antonsen, dahinter zwei Männer, die Kristin nicht kannte, und zuletzt der Pressesprecher des Polizeipräsidiums.
Der Pressesprecher schlug mit einem Holzhammer auf den Tisch. Es wurde still im Saal.
Der Polizeipräsident begrüßte die Journalisten, stellte sich selber und die anderen auf dem Podium vor, ehe er das Wort an Vang weitergab.
Vang zählte die Hauptmerkmale des Mordes auf, was ungeduldiges Gemurmel von Seiten der Journalisten hervorrief. Das war ihnen doch alles längst bekannt. Danach stellte Vang die wissenschaftliche Vorgehensweise vor (in Wahrheit empirische Vermutungen), die die Grundlage für das Persönlichkeitsprofil bildete.
»Wir gehen davon aus, dass der Mörder um die dreißig Jahre alt ist«, sagte Vang. »Unsere Annahme basiert unter anderem auf der Form der Blockbuchstaben, die auf die von der Schulbehörde in den Sechzigerjahren durchgeführten Versuche mit verschiedenen Schriften zurückzuführen ist, und auf der Tatsache, dass es sich bei dem Opfer um eine junge Frau handelt. Es ist ein durchgängiger Zug bei dieser Art von Morden, dass sich der Mörder Frauen sucht, die seinem eigenen mentalen Alter entsprechen, also häufig zehn, zwanzig Jahre jünger sind als er selbst.«
»Was verstehen Sie unter ›dieser Art von Morden‹?«, rief ein Reporter der VG .
»Glauben Sie, dass er weiter morden wird?«, rief das Dagbladet .
Aftenposten : »Steht er hinter anderen, unaufgeklärten Morden?«
Der Pressesprecher hob abwehrend die Hände. »Die Fragen bitte zum Schluss, Jungs.«
»Und Mädels!«, rief eine Reporterin.
Vang fuhr fort. »Wir gehen, wie gesagt, davon aus,
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