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Tabu: Thriller

Tabu: Thriller

Titel: Tabu: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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Atmosphäre aufzubauen, wenn sie sich weigert mitzuspielen. Die Aufnahmen von Una und Anita waren sehr stimmungsvoll, sinnlich. Das Video von Marianne vulgär und roh wie ihr Wesen. Aber mit Frøydis war einfach nichts zu machen.
    Er denkt an Eva.
    Eva .
    Es ist nicht zu glauben.
    Frøydis und Eva.
    Hinter dem Spiegel versucht er, sich Frøydis nackt vorzustellen, zusammen mit einer anderen Frau. Eva. Es ist nicht einfach. Aber er hat einmal einen Film gesehen. Bilitis . Ganz ahnungslos ist er nun auch nicht.
    Aber ehrlich, sie ist zweiundvierzig Jahre alt und hat zwei Söhne. Dass so etwas überhaupt möglich ist!
    Er hat nicht genau nachgerechnet, aber Linda wäre jetzt wohl etwa in Frøydis’ Alter, wenn sie hätte leben dürfen. Merkwürdiger Gedanke. Für ihn ist Linda in der Zeit ihres Todes erstarrt. Sie war wie Frøydis jemand, der sich seine Jugend bewahrt, so dass man nur aus unmittelbarer Nähe erkennt, dass die Jahre ihre Spuren hinterlassen haben.
     
    Die Erinnerungen überwältigen ihn derart, dass er den Super-8-Projektor aufbaut und die Gardine zuzieht, um sich den Film vom Abend ihres Todes anzusehen.
    Still und regungslos sitzt er da und sieht zu, wie sie auf der Leinwand zum Leben erweckt wird, das stumme Lachen… die lächelnden Augen… das errötende Gesicht… die Hand, die ihm Wasser entgegenspritzt… ihre Silhouette hinter dem Plastikvorhang. Und dann die Nymphenbilder, die göttlich schönen Nymphenbilder. Linda, die schöne, grundgütige Linda, weiß und leblos in dem klaren Wasser.
    Er spult den Super-8-Film zurück und lässt ihn noch einmal laufen. Ihre Augen nehmen seinen Blick gefangen. Das lautlose Lachen steckt an.
    Und dann: ihr Körper wie eine marmorne Götterstatue, gebadet in Weißwein.
    Er denkt: eine Nymphe in silbrig schimmerndem Wasser.

Der alte Fall
    Gunnar Borg war unruhig, und er verstand nicht, warum.
    Bevor er ins Bett ging, sah er sich die Spätnachrichten an. Sie brachten eine kurze Reportage über das letzte Video. Die Bilder zeigten, dass Marianne ertränkt worden sei, erläuterten sie, gingen aber nicht weiter ins Detail. Kristin hatte ihm alles darüber berichtet.
    Sie hatte ihn im Laufe des Tages bei der Arbeit angerufen und ihm mit brüchiger Stimme beschrieben, wie Marianne ermordet worden war. Immer wieder hatte sie abgesetzt, um sich zu sammeln. Sie hatte ihm die Angst in Mariannes Augen geschildert und war dann mit der Frage herausgeplatzt: »Mein Gott, Gunnar, was geht in dem Kopf eines Mannes vor, der so etwas tut?« Als ob Gunnar das wüsste oder eine Antwort darauf geben könnte.
    Wieder und wieder sprach sie von den Blasen, dass sie ja keine Ahnung davon gehabt habe, wie viel Luft in einer Lunge sei.
    Ihm war klar, dass sie anrief, weil sie jemanden zum Reden brauchte. Jemanden, der zuhörte, ohne nachzufragen und weitere Informationen zu fordern. Jemanden, der sie ausreden ließ.
    Er ließ sie reden, bis sie keine Worte mehr hatte, und sagte etwas Tröstendes. Leere Worte, die ebenso sinnlos waren wie die Äußerungen eines Pastors nach einem Todesfall. Trotzdem genau das, was sie in diesem Moment brauchte.
    Bevor sie auflegten, bedankte sie sich bei ihm. Mit dünner Stimme. Er sagte, dass sie ihm dafür nicht zu danken brauchte.
    Das Gespräch quälte ihn. Und es verwirrte ihn nur noch mehr. Er war mit den Jahren so hart geworden, so abgestumpft. Ein Mord mehr oder weniger berührte ihn nicht nennenswert. Ehrlich gesagt, war ihm der Mord an Anita Fjordvik, die langsam mit Klebeband auf Nase und Mund erstickt worden war, viel näher gegangen als der Mord an Marianne. Trotzdem hatte Kristins Beschreibung eine Saite der Angst in ihm angerissen. Und es ärgerte ihn, dass er sich nicht erklären konnte, wieso.
    Diese rastlose Angst machte ihn so durstig. So verdammt durstig auf etwas ganz Bestimmtes.
     
    Gunnar las eine halbe Stunde in Tolkiens Herr der Ringe , ehe er das Lesezeichen wieder ins Buch legte und die Lampe auf dem Nachtschränkchen ausknipste.
    Wenn er nicht schlafen konnte, versuchte er sich häufig vorzustellen, wie seine Gliedmaßen eine nach der anderen schwer wie Stein wurden. Manchmal tat er so, als hätte er eine Schlaftablette genommen, aber es gab auch Tage, an denen ihm nichts anderes übrig blieb, als die Lampe wieder einzuschalten und weiterzulesen.
    Diese Nacht war eine solche Nacht.
    Stundenlang wälzte er sich wach im Bett herum. Er lauschte den Autos unten auf der Straße und dem Ticken der Wanduhr im Wohnzimmer. Er

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