Tacheles
sodann ernsthaft ins Gebet zu nehmen, denn immerhin war das ja eine möglicherweise nicht irrelevante Information, denn wenn der alte Demand bei der Hausmeisterin abstieg, dann konnte es ebenso gut sein, dass er sich auch wo anders verlustierte, also ich war gerade dabei, ihrem Treiben ein Ende zu setzen, als …“
Bronstein war knapp daran, die Nerven zu verlieren. Cerny überspannte den Bogen. Wie konnte er es wagen, an just dieser Stelle die Erzählung zu unterbrechen und nach der Kaffeetasse zu greifen? Jetzt linste er in das Gefäß und stellte offenbar fest, dass es leer war. Bronstein begann zu kochen. Wenn Cerny jetzt auf die Idee kam, zu sagen, er habe keinen Kaffee mehr und hole deshalb neuen, dann würde er, so wahr ihm Gott helfe, Cerny an die Gurgel springen.
„Hörst, Oberst, ich hab keinen Kaffee mehr. Ich hol mir noch einen. Soll ich dir auch noch einen bringen?“
Bronstein zündete sich die vierte Zigarette des Tages an, obwohl es noch nicht einmal vier Uhr morgens war und sich draußen erst die allererste Andeutung einer Dämmerung abzeichnete. Während er den Rauch einsog, fand er jene Ruhe, die er brauchte, um Cerny zu antworten: „Nein, danke, ich habe noch.“
„Na gut, ich bin gleich wieder da.“
Bronstein wartete, bis Cerny die Tür geschlossen hatte. Dann zählte er ganz langsam bis zehn. Erst danach griff er nach dem Locher und schleuderte ihn mit aller Wucht gegen die Wand, sodass sich dort Verputz löste und knirschend zu Boden rieselte. Eine halbe Zigarette später war Cerny endlich wieder im Zimmer.
„Also“, griff Bronstein den Gesprächsfaden wieder auf, „sie ist gerade dabei, dich zu vernaschen, als …“
„Ich bin eben dabei, genau das zu verhindern, als …“
„Wie auch immer. Was passierte dann?“
„Als plötzlich die Tür auffliegt und der Hausmeister im Vorzimmer steht! Was für eine Situation! Ich in die Enge gedrängt von einem überbordenden Frauenzimmer, das außer seiner Körperbehaarung nichts am Leibe trägt, belagert, und als Entsatzheer erscheint ausgerechnet ein sturzbetrunkener Tunichtgut mit latentem Hang zu unkontrollierter Aggression.“
„Cerny! Red’ weiter, verdammt noch einmal. Wegen dir krieg ich einen Herzkasperl!“
„Zuerst hat er nur unartikuliert aufgebrüllt. Sie ist von mir gesprungen, als wär sie dreißig Kilo leichter und ebenso viele Jahre jünger, und hat ihn nur entsetzt angesehen. Dann sagt der Blödian noch, ob ihr die G’schichte mit dem Demand nicht gereicht habe, ehe er sich anschickt, auf mich mit Fäusten und Füßen loszugehen.“
„Und?“
„Das ist witzig, Oberst, fällt dir das eigentlich auf? Das ist wie bei Platons Dialogen. Ich bin Sokrates, der die Welt erklärt, und du bist der Dialogpartner, der immer nur ein, zwei Worte sagen darf, damit dann Sokrates umso bedeutungsvoller mit seiner Rede fortfahren kann.“
„Cerny, ich sage dir, ich vergesse mich gleich. Man kann es ganz entschieden übertreiben. Ich gönne dir deinen Triumph von ganzem Herzen, aber entweder sagst du mir jetztendlich, wie die Geschichte ausgeht, oder … oder ich vergesse mich!“
„Ja, ja, deswegen brauchst du ja nicht so zu brüllen, ich bin ja nicht taub. Und außerdem komme ich ohnehin gerade zum Ende meiner Erzählung. Wenn du dich nicht so aufregen würdest, dann wüsstest du ja ohnehin schon …“
„Cerny!“
„Ist ja gut. Er geht also auf mich los. Er hat einen leichten Startvorteil, wie es aussieht, weil ich hinter dem Tisch eingeklemmt bin. Doch er ist schwer betrunken und daher in seinen Reaktionen beeinträchtigt. Ich trete also, noch ehe er mich zu fassen bekommt, den Tisch in seine Richtung, was seine Vorwärtsbewegung abrupt stoppt. Er hat Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten. Ich springe auf und verpasse ihm einen Faustschlag direkt auf die Nase. Er taumelt, Blut schießt aus seiner Nase. Ich setze nach. Ein rechter Kinnhaken, und er geht zu Boden. Versucht noch, sich irgendwo anzuhalten, doch da ist nichts. Prack, da liegt er. Ich auf ihn drauf, die Achter aus der Hose geholt, und einen Augenblick später ist er gut verpackt und fertig für die Reise ins Sicherheitsbüro.“
Bronstein wusste nicht, was er sagen sollte, also beschränkte er sich auf einen Pfiff.
„Gegen zwei Uhr morgens hat er dann gestanden. Er hat den alten Demand mit seiner Frau im Bett erwischt. Seine Frau habe ihn verhöhnt und gesagt, sie würde es schon eine ganze Weile mit dem Hausherrn treiben, weil er, also der
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