Tacheles
steckte sich eine weitere „Donau“ an. „Kannst du mir einen Gefallen machen? Lies die zehn Minuten was. Das Geklapper halt ich nicht aus. Nicht um die Zeit.“
Cerny grinste. Einen Moment sah es so aus, als wollte er etwas erwidern, doch dann verkniff er sich den Spruch, griff zur „Wiener Zeitung“ und begann darin zu schmökern. Bronstein sah in die Luft, rauchte und dachte erstmals an diesem Morgen an nichts.
Endlich, um zehn Minuten vor sechs, wollte er nicht länger warten. Er erhob sich, nickte Cerny zu, raunte, er werde in einer Stunde wieder da sein, und marschierte in Richtung Ausgang. Und obwohl er sich im absoluten Schneckentempo bewegte, war das Café noch geschlossen, als er vor dessen Tür stand. Wenigstens brannte im hinteren Teil des Lokals schon Licht,und da er nicht noch länger warten wollte, klopfte er einfach an die Glasscheibe. Ein missmutiger Kellner kam zum Eingang, drehte am Schlüssel und öffnete die Tür einen Spaltbreit. „Wir sperren erst in einer halben Stund’ auf. So lang müssen S’ noch warten, tut mir leid.“
Bronstein zückte seine Kokarde: „Muss ich nicht. Polizei.“
Instinktiv erbleichte der Kellner. „Aber i hob nix ang’stellt, ehrlich“, stammelte er.
„Des wirst aber gleich. Mach mir zwei Spiegeleier mit Speck, dazu will i a krachfrische Semmel und an Einspänner. Und des glei.“
Der Kellner wusste, er saß auf dem kürzeren Ast, und so schickte er sich an, die Bestellung zu erledigen. Zehn Minuten später konnte Bronstein endlich seinen Hunger stillen. Er hatte das Gefühl, schon lange nicht mehr so gut gegessen zu haben, und rauchte sich genussvoll eine weitere „Donau“ an, wobei er mit Schrecken feststellte, dass dies schon die zehnte Zigarette des Tages war. Wenn er in dem Tempo weiterrauchte, dann würde er wohl auf mehr als zwei Packungen kommen, ehe es wieder Nacht wurde. Bronstein verscheuchte diesen Gedanken: „Noch einen Verlängerten.“
In Ermangelung geeigneter Lektüre wurde es Bronstein schließlich langweilig, allein in diesem Kaffeehaus zu sitzen, und so rief er wenige Minuten nach sieben Uhr nochmals den Kellner.
„Zahlen, bitte!“
Der Kellner schien ehrlich überrascht. Offenbar war er davon ausgegangen, dass sich der Polizist nicht nur kraft amtlicher Autorität Zutritt zum Lokal verschafft hatte, sondern sich auch die Konsumation schenken lassen würde, was tief blicken ließ, wie Volkes Stimme die Polizei sah, dachte sich Bronstein.
„Natürlich zahle ich. Ich bin ja der Hüter des Gesetzes und nicht dessen Brecher.“ Der Kellner zog die Augenbrauen hoch.
„Oder glaubst, i bin korrupt? Des wär dann Beamtenbeleidigung.“
„Na, na, eh net. A so a feiner Herr, was Sie sind. Aber wissen S’ eh, ma erlebt vü, und es ist net ollas Gold, was glänzt. Sie san oba ganz sicher a Ausnahm’, des sieht ma sofort.“
Bronstein gab sich gönnerhaft und legte fünfzig Groschen Trinkgeld drauf. Auf der Straße war es nun bereits merklich wärmer, und Bronstein meinte, er könnte nun bald einen ersten Versuch starten, Marek an seiner Dienststelle zu erreichen.
Beim dritten Versuch klappte es. Marek hob ab.
„Ja, guten Morgen, Bronstein hier. Ich habe Ihren Aktenvermerk gelesen. Ist der noch von Relevanz?“
„Und wie. Ich habe eben die Nachricht bekommen, dass ein Verdächtiger sich beim Bezirkskommissariat Innere Stadt gemeldet hat. Der Mann heißt Hudl und machte Andeutungen, die sich mit jenen meines Konfidenten decken. Angeblich wollen die Nazis die ganze Regierung als Geiseln nehmen. Genaueres wusste aber dieser Hudl anscheinend auch nicht … oder die Kollegen haben zu wenig nachgefragt, denn der Mann bekam dann, so heißt es in dem Bericht, schnell kalte Füße und hat aufgelegt.“
„Aufgelegt?“
„Ja, er hatte angerufen.“
„Und Ihr Mann?“
„Von dem habe ich seit gestern Mittag nichts mehr gehört. Aber er meinte, die wollten den Ministerrat überfallen.“
„Ja, und wie wahrscheinlich ist das?“
„Was weiß ich. Nur die Tatsache, dass wir zwei unabhängig voneinander vorgebrachte Warnungen haben, sollte uns zu denken geben. Sie wissen über Ihre G’schichte nicht zufällig was?“
Bronstein dachte einen Augenblick nach, ehe er antwortete: „Irgendwie ist das merkwürdig. Wir hatten zwei Verdächtigeda sitzen, die wir in unserem Fall verhörten, und die ergingen sich in nebulosen Drohungen, wonach ohnehin bald alles ganz anders sein würde. Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass sich diese
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