Tacheles
Lage wurde, umso mehr griffen die Menschen zur Flasche – und zur Zigarette. Und Demand lieferte dem staatlichen Monopol die entsprechenden Rohstoffe. Der alte Demand hatte das alles anscheinend nicht mehr miterleben müssen, denn Emanuel Demand war seit 1916 Chef der Firma. Dementsprechend prunkvoll hatte er Anfang 1930 das große Firmenjubiläum begangen. Irgendeine Boulevardzeitung erging sich in weitschweifigen Schilderungen, wer bei diesem Fest aller anwesend gewesen und was dort alles kredenzt worden sei. Offensichtlich hatten sich Politik und Wirtschaft recht zahlreich bei Demand eingefunden. Da waren Wirtschaftskapitäne wie Manfred Mautner Markhof und Julius Meinl anwesend, und Handelsminister Hainisch, immerhin bis vor sechs Jahren noch Staatsoberhaupt der Republik, wardamals ebenso zugegen gewesen wie Finanzminister Juch, wobei es Bronstein nicht verwunderte, dass Unterrichtsminister Srbik und Sozialminister Innitzer nicht den Weg zu Demand gefunden hatten. Die Haltung der beiden war auch ihm hinlänglich bekannt. Doch während Innitzer mittlerweile Karriere in der katholischen Kirche gemacht hatte, war Srbik zwischenzeitlich in der Versenkung verschwunden. Man munkelte, dass er mit den illegalen Nationalsozialisten im Bunde sei, doch nachzuweisen vermochte ihm das staatspolizeiliche Büro offenbar nichts.
Aber um den schrulligen Universitätsprofessor ging es jetzt nicht, ermahnte sich Bronstein selbst, sondern um Emanuel Demand. Erwartungsgemäß boten die polizeilichen Akten keinerlei Auskunft über den Mann, dafür stand umso mehr in diversen Fachblättern. Demand war 1873 in Wien geboren worden, hatte das Akademische Gymnasium bei den Schotten besucht, um sodann in Wien und Paris Welthandel zu studieren. 1898 kehrte Demand, der anscheinend untauglich gewesen war, denn es stand nirgendwo etwas davon zu lesen, dass er beim Heer gedient hätte, nach Wien zurück und trat in die väterliche Firma ein, die er 18 Jahre später übernahm. 1911 hatte Demand für eine liberale Gruppierung zum Reichsrat kandidiert, war aber nicht gewählt worden. Dafür war er offenbar nach 1918 Mitglied der Bezirksvertretung gewesen, wenngleich der Mann mehr in der Handelskammer und in der Industriellenvereinigung aktiv gewesen zu sein schien als im Bezirksrat. Gleichzeitig warf diese Information natürlich die Frage auf, für welche Partei Demand aktiv gewesen war, denn es hätte Bronstein einigermaßen befremdet, wäre dieser bei seinem Hintergrund wirklich von den Christlichsozialen als einer der ihren akzeptiert worden – von den Deutschnationalen ganz zu schweigen. Und bei den Sozialdemokraten würde man auf einen Fabrikanten auch nicht gerade Wert gelegt haben. Bronstein fand einen Hinweis auf Demands Engagement bei der Bürgerpartei desseinerzeitigen Außenministers Czernin, und es mochte sein, dass diese Partei, die mit dem Tod ihres Vorsitzenden eigentlich sang- und klanglos von der politischen Bühne abgetreten war, auf Bezirksebene noch irgendwo Aktivitäten entwickelte. Das würde eventuell nachzuprüfen sein, dachte Bronstein.
Nun war es Zeit, sich das Privatleben Demands anzusehen. Rasch stellte Bronstein fest, dass er es hier mit einem richtigen Filou zu tun hatte. Erst vor zwei Jahren, im Mai 1932, war Demand zum dritten Mal den Bund der Ehe eingegangen, was die Familie sichtlich lange in Aufregung versetzte. Demands erste Ehe war kinderlos geblieben, die Frau um die Jahrhundertwende an der Schwindsucht gestorben. 1901 heiratete Demand eine Madeleine Gföhler, eine ebenso farblose wie einfältige Bauerndirn aus dem Waldviertel, was, wie Bronstein den Unterlagen entnahm, als weit unter Demands Stand galt, weshalb die Hochzeit von der Gesellschaft weitgehend gemieden worden war. Unwillkürlich musste Bronstein lächeln. Die feine Grande Dame, die am Vortag so verachtungsvoll auf das Fräulein Alwine herabgeblickt hatte, war selbst nur ein ziemlich kleines Licht. Nun, das erklärte so einiges. Und Bronstein mochte die impertinente Alte gleich noch weniger.
In diesem Moment flog die Tür auf, und ein sichtlich gut gelaunter Cerny betrat das Zimmer. „Einen wunderschönen guten Morgen zu wünschen“, sagte er mit der Andeutung einer leichten Verbeugung, ehe er seinen Schreibtisch ansteuerte, der sich genau gegenüber von Bronsteins Arbeitsplatz befand. Bronstein hob nur kurz den Kopf, um sich dann wieder in die Unterlagen zu vertiefen. „Gestern noch einen schönen Tag gehabt?“, fragte er in einem leisen
Weitere Kostenlose Bücher