Tacheles
ich heim. Ich wünsch dir noch einen schönen Abend, Oberst.“
„Ja, du mich auch“, neckte Bronstein und orderte noch ein Bier.
Später konnte sich Bronstein nicht mehr daran erinnern, wie lange er in der „Krone“ gesessen war. Es war ihm nur aufgefallen, dass sich das Lokal allmählich wieder füllte und dass die Kellner mit dem Servieren des Nachtmahls begannen. Er konnte sich nicht mehr entsinnen, wie viele Bier er schon geordert hatte. Der Trubel wurde ihm bald zu viel, und so zahlte er schließlich, um danach unsicheren Schritts wieder auf die Straße zu treten. Die Krongasse war von seiner Wohnung keine zwei Kilometer entfernt, und doch kam es ihm vor, als hätte er sich auf eine Weltreise gewagt, denn der Abend schritt unerbittlich voran, während er immer noch durch die Margaretenstraße schwankte. Er fühlte sich so ausgelaugt, dass er am Karlsplatz automatisch das Café Museum ansteuerte, um dort bei einem großen Braunen neue Kraft zu schöpfen. Er gab im Vorübergehen seine Bestellung auf und stellte sich dann in den Raum der Schachspieler, wo er nach der spannendsten Partie Ausschau hielt. Bald schondachte er nicht mehr an den Fall, sondern folgte nur noch den Bewegungen der Springer, Läufer und Damen.
Als es draußen dunkel geworden war, musste er sich allerdings eingestehen, er war nicht hier wegen des Spiels der Könige. Er hatte schlicht Angst, in seine leere Wohnung zurückzukehren. Und so verließ er überaus zögerlich das Museum und ging hinter der Oper vorbei in die Kärntner Straße.
Auch wenn Bronstein versuchte, sich selbst hinsichtlich des Zwecks dieses Manövers zu belügen, er wusste, warum er just diesen Weg gewählt hatte. Er führte ihn direkt an der Annagasse vorbei. Es war wirklich zu lächerlich. Ein gestandenes Mannsbild wie er suchte Erleichterung in den Armen leichtlebiger Liebesdienerinnen. Er hätte beizeiten heiraten sollen, dann wäre ihm diese Demütigung erspart geblieben.
„Na, Schatzi, wie wär’s denn mit uns beiden?“ Eine dralle Rothaarige hatte Bronstein angesprochen und streckte ihm, als er in ihre Richtung sah, ihren Busen demonstrativ entgegen. War sein Mut schon bislang eher klein gewesen, so erschreckte ihn diese Direktheit viel zu sehr, als dass er den Inhalt der Botschaft überhaupt zu verarbeiten vermochte. Er sah schnell zu Boden und eilte weiter in Richtung Krugerstraße.
„Dann ned, Saujud, dreckiger.“
Abrupt blieb Bronstein stehen, drehte sich langsam um und trat ganz nahe an die Prostituierte heran, die ihn böse anfunkelte. „Wie um Himmels willen kommen Sie auf die Idee, ich sei ein Jude?“
Sein Erstaunen war ihm deutlich anzusehen, und auch die Hetäre gab sich nun weniger angriffslustig, da sie erkannte, dass sie den anderen nicht beleidigt, sondern nur verdutzt hatte.
„Na, wäust so sierig bist“, gab sie zurück.
Bronstein musste lachen. Manche Stereotype waren eben einfach nicht umzubringen, setzten sich so im Volksglaubenfest, dass sie sich immer wieder Bahn brachen, und sei es in den absurdesten Situationen.
„Wenn ich geizig wäre, dann hätte ich wohl gefeilscht, oder nicht?“, sagte er dann.
„Naa“, grinste jetzt auch die Liebesdienerin, „wäu wer feilscht, der tat si immerhin überleg’n, ob er a Göd ausgibt. Du wü’st ned amoi des.“
„Vielleicht bin ich nur jetzt nicht willig. Weil ich nicht in Stimmung bin, vielleicht.“ Bronstein wunderte sich über den kecken Ton, den seine Rede angenommen hatte, doch er hatte Gefallen an der Unterhaltung gefunden.
„Na, des mit der Stimmung lasst si schnell ändern. Lad mi ein auf an Schampus, und dann zag’ i da, wiast direkt in’ Himmel kummst.“
„Echt? Wie kommt man denn direkt in den Himmel?“
Die Prostituierte schätzte Bronstein mit einem weiteren Blick ab. Ihr Lächeln verschwand. Der Mann würde letztlich doch nicht mitkommen, dazu war er zu verklemmt. Er geilte sich nur verbal auf, war ihr Urteil.
„Wennst des wissen willst, dann kumm mit, ansonsten schleich di“, gab sie sich nun schnippisch.
„Und was sagen Sie, wenn ich Sie bitte, mit mir zu kommen?“
„Nein.“
„Aber ich hätte da ein sehr überzeugendes Argument.“
„Echt?“
„Ja.“
„Scheiße!“ Die Dame erbleichte. Bronstein hatte seinen Dienstausweis aus der Tasche gezogen und hielt ihn ihr unter die Nase. „Na, was sagst jetzt?“, fragte er jovial.
„I bin sauber. I hob an Deckel. Bei mir passt alles, Herr Inspektor“, beeilte sie sich mit einer Antwort,
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