Tacheles
Bronstein in das Gespräch zurückgekehrt.
„Sehen Sie nach Deutschland, was sich dort jetzt tut. Die jüdischen Betriebe werden der Reihe nach arisiert, wie es so schön heißt. Das wird früher oder später auch in Österreich der Fall sein, denn ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sich der Millimeter …, also der Bundeskanzler Dollfuß nicht gegen die Nazis behaupten wird können. Jetzt schon gar nicht, wo er zwei Drittel der Bevölkerung jeder Rechte beraubt hat. Und wenn die Nazis in Österreich triumphiert haben, was eher früher als später passieren wird, dann schlägt die Stunde der Holzers.“
„Wie meinen S’ jetzt das?“
„Na Arisierung eben. Sie glauben doch nicht, dass die Demands dann ihre Firmen behalten könnten. Die müssten froh sein, wenn sie mit heiler Haut aus Österreich rauskommen. Und wenn er seine Karten richtig ausspielt, der Holzer, dann ist er zunächst kommissarischer Verwalter und irgendwann später Besitzer von Demand & Sohn. Verstehen S’ jetzt, was ich meine?“
„Ich gebe zu, diese Theorie hat was für sich“, nickte Bronstein bedächtig, dabei immer noch an den zuvor gewonnenen Erkenntnissen würgend. Er verdrängte die Frage, wieso ihm plötzlich das Pogrom von 1421 eingefallen war, und versuchte, sich auf den Fall zu konzentrieren. „Die beiden Nazibazi …, der, na, der Dings und der andere …“
„Der Kotzler und der Murer?“
„Genau. Wer sind die?“
„Der Murer ist ein ganz ein kleines Licht, der is Etikettierer. Der Kotzler aber ist Holzers Mann fürs Grobe. Offiziell ister sein Sekretär, aber wirklich arbeiten tut der nichts. Der ist nur zur persönlichen Verfügung vom Holzer da. Wenn überhaupt.“
„Na, um die beiden werden wir uns kümmern“, sagte Cerny bestimmt. In diesem Augenblick trat Podlahas Gattin in den Raum: „Entschuldigen schon, die Herrschaften, dass ich stör, aber, Fritz, das Essen wär jetzt so weit.“ Dann wandte sie sich an die beiden Polizisten: „Wenn’s genehm wär, könnten wir Ihnen auch was anbieten. Viel is es zwar nicht, und was B’sonderes auch nicht, aber es tät von Herzen kommen.“
Cerny erinnerte sich daran, in der Küche nur einen einzigen Topf gesehen zu haben. „Das reicht ja nicht für sieben, oder“, entfuhr es ihm.
„Ach, Kohlgemüse mögen die Kinder eh ned a so“, wiegelte die Frau ab. Cerny war ehrlich bestürzt. Deutlich konnte er in den Augen der Frau Podlaha lesen, dass sie hoffte, die Polizisten würden das Angebot ablehnen, weil sonst die Kinder hungern müssten. „Nein, nein“, sagte er daher schnell, noch ehe Bronstein irgendwie reagieren konnte, „vielen Dank, aber wir haben schon eine Verabredung in der Krone. Und zwei Mittagessen schaffen nicht einmal wir.“ Dabei bemühte er sich um ein Lächeln, in welches die Hausfrau mit einem überaus dankbaren Ausdruck in ihren Augen einfiel.
„Ja, das wär’s nachher eh“, bemühte sich nun auch Bronstein um einen Beitrag zum Gespräch. „Herr Podlaha, Sie haben uns sehr geholfen. Uns bleibt nur, Ihnen Mahlzeit zu wünschen.“ Man verabschiedete sich voneinander und begab sich auf den Gang. Dort hielt Cerny Bronstein kurz am Ärmel zurück und meinte, er habe noch eine Kleinigkeit vergessen. Eilig schlüpfte er zurück in die Wohnung, was Bronsteins Argwohn erweckte. Er fand eine Lücke im Vorhang des Gangfensters und spähte in die Küche, wo er Cerny auf Frau Podlaha einreden sah. Der Major griff in seinen Mantel und holte sein Portemonnaiehervor. Bronstein verschlug es die Sprache, der Major gab der Frau ein Fünfschillingstück. Fünf Schilling, Bronstein war baff. Noch mehr erstaunte ihn die Reaktion der Frau, die von Cerny offenbar nur mit Mühe daran gehindert werden konnte, vor ihm in die Knie zu sinken. Was mochte es mit diesem Geld auf sich haben? Bronstein konnte es kaum erwarten, bis Cerny endlich wieder neben ihm auf dem Gang stand.
„Was war das eben?“
„Ach nichts.“
„Nichts? Fünf Schilling sind für dich nichts? Wofür hast ihr das Geld gegeben?“
Cerny seufzte und setzte dann zu einer Antwort an: „Die Kleinen haben doch hinten und vorne nichts. Der Mann hat keine Chance, irgendwo Arbeit zu finden – nicht mit seinem Hintergrund. Und die Frau ist sichtbar am Ende mit ihrer Weisheit. Da muss man doch helfen, wenn man kann.“
„Cerny, du bist und bleibst ein Weltverbesserer. Glaubst du wirklich, dass deine edle Spende einen Unterschied macht?“
„Für die Familie Podlaha schon. Die kann sich
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