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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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sein. Bronstein musste daran denken, wie Skubl im Vorjahr, kurz nach der Ausschaltung des Nationalrates, satt erklärt hatte, dass es letztlich egal sei, welches politische System ein Land habe, alles stehe und falle jeweils mit den Ordnungskräften, also mit der Polizei. In Wirklichkeit schuldeten also nicht die Mitglieder der Exekutive den jeweils Regierenden Loyalität, es sei vielmehr umgekehrt: „Egal, ob es sich bei einem Staat um eine Monarchie, eine Demokratie oder irgendeine Diktatur handelt“, hatte er damals erklärt, „die Regierung stützt sich stets auf die bewaffnete Ordnungsmacht. Und das, meine Herren, sind wir. Wir haben politische Wechselfälle nicht zu kommentieren, wir haben vielmehr eine Aufgabe, die es zu bewältigen gilt. Und das tun wir. Regelmäßig. Unser Credo heißt Ordnung und Sicherheit. Und diese beiden unumstößlichen Eckpfeiler einer zivilisierten Gesellschaft schützenwir. Und daher unterstützen wir jede Regierung, der eben dieses Credo gleichfalls wichtig ist. Wir lösen unsere Aufgaben auf unsere Weise, soll die Regierung es auf ihre Weise tun, das ist uns gleich. Solange sie nur weiß, was sie an uns hat.“
    Vielleicht, dachte Bronstein, war sich Skubl nicht mehr so sicher, dass die Regierung wirklich wusste, was sie an ihm hatte, sodass er seine Fühler eben auch in andere Richtungen ausstrecken mochte. Aber ebenso gut war es möglich, dass er der Regierung auch weiterhin treu ergeben war und dass nur irgendwelche Neider versuchten, ihn anzuschwärzen – oder in dem Fall passender, lächelte Bronstein in sich hinein, anzubräunen –, um seinen sicher scheinenden Aufstieg in die lichtesten Höhen der Verantwortung zu stoppen oder wenigstens ein bisschen zu verzögern.
    Egal, Skubl war im Augenblick der starke Mann, schloss Bronstein seine Meditationen über dieses Thema ab, da ihm bewusst wurde, dass dieser eine klare Antwort von ihm erwartete, und deshalb legte man sich besser nicht mit ihm an. Und um ganz sicherzugehen, dass man sich nicht auf dünnem Eis bewegte, sprach man von gewissen Dingen erst dann, wenn man unumstößliche Beweise beibringen konnte, welche die eigene Meinung nachhaltig bekräftigten. Also war es zum gegenwärtigen Zeitpunkt klüger, einfach nur zu nicken und Skubls Standpunkt als wichtige Richtschnur für die weiteren Ermittlungen zu unterstreichen.
    „Es wäre aber immer noch zu untersuchen, ob der Mord nicht auf das Konto nationalsozialistischer Täter geht.“
    Bronstein fuhr entsetzt hoch. Cerny hatte es sich wieder einmal nicht verkneifen können. Bronstein schickte ihm dafür einen blitzenden Blick.
    „Aber Herr Kollege“, bemühte sich Skubl überraschenderweise um Konzilianz, „diese Theorie scheint mir sehr weit hergeholt. Die Nationalsozialisten verfolgen doch ganz andereZiele, die denken in größeren Dimensionen. Nein, nein, vertrauen Sie meinem Alter und meiner Erfahrung, suchen Sie die Täter unter den Roten. Die sind, wie wir ja nicht zuletzt im Februar gesehen haben, völlig ohne Moral und ohne Skrupel. Denen ist bekanntlich nichts heilig, ergo auch kein Menschenleben. Dort müssen Sie ansetzen.“
    Bronstein wollte um jeden Preis verhindern, dass Cerny dem Vizepräsidenten weiterhin die Stirn bot. Noch ehe das letzte Wort aus Skubls Mund verklungen war, griff er schon den Gesprächsfaden auf. „Herr Präsident“, sagte er, „wir werden Ihren Rat beherzigen und unsere Ermittlungen darauf entsprechend abstellen. Selbstverständlich halten wir Sie auf dem Laufenden.“
    „Das wird gut sein“, ergänzte Skubl, „denn der Minister sitzt mir im Genick. Wenn jetzt schon ehrbare Fabrikanten ums Leben gebracht werden, dann hört sich der Spaß wirklich auf. Und was machen S’ jetzt als Nächstes?“
    „Wir gehen zum Begräbnis des Opfers. Wir erwarten uns davon zwar keinen unmittelbaren Erfolg, aber Sie wissen ja, Herr Präsident, oft schon hat sich der Täter bei solchen Gelegenheiten gezeigt, und wenn man als Polizist seine Augen stets offen hält, kann man dabei manch nützlichen Hinweis erhalten.“
    „Ja“, nickte Skubl, „machen S’ das. Aber es ist gut, dass Sie sich davon nicht zu viel versprechen, denn die Roten gehen nicht zu Begräbnissen. Nicht, wenn sie draus nicht eine politische Demonstration machen können.“
    Bronstein unterdrückte Cernys Bedürfnis, an dieser Stelle Widerspruch anzumelden, mit einer allgemeinen Floskel und fragte den Präsidenten, ob sonst noch etwas anlag. Skubl war anscheinend nicht

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