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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Politiker oder Wirtschaftskapitän ermorden, weil er wüsste, dass der sofort durch einen anderen ersetzt würde. Die Unterdrückung, gegen die ein Sozi meint ankämpfen zu müssen, begreift der als systemimmanent, weshalb sich nicht die Person, sondern eben das System ändern muss, wie die Roten meinen.“
    „Alle Achtung, Genosse Cerny, hätt mir gar nicht gedacht, dass du das so gut draufhast. Warst am End gar selbst in der Partei?“ Bronstein lächelte und zwinkerte mit dem Auge.
    „Na ernsthaft, kannst du dich daran erinnern, wann die Roten je eine Gesetzesübertretung begangen hätten? Selbst als ihnen der Kanzler schon ihren Maiaufmarsch abgedreht hat, sind die noch streng gesetzestreu geblieben. Kannst dich noch erinnern, Oberst, voriges Jahr, was s’ da g’schrieben haben? Demonstrieren ist verboten, aber spazieren gehen ist erlaubt. Also gehen wir am 1. Mai alle spazieren! So sind’s, die Roten. Und erst heuer im Februar. In Floridsdorf haben sich die Schutzbündler nicht in den Bahnhof getraut, weil niemand da war, der ihnen Perron-Karten verkauft hätte. Und in Favoriten unten hat sich eine Abteilung Schutzbündler ergeben, weil sie, hätten sie es nicht getan, über eine Parkwiese hätten flüchtenmüssen, auf der aber ein Schild stand: Betreten verboten. Glaubst du wirklich, dass jemand, der nicht einmal unter extremsten Umständen unerlaubt auf eine Grasnarbe steigt, einen Mord begeht?“
    „Eh nicht. Glaub mir, die Sozis hab ich auch nicht auf meiner Liste. Aber bei dem Skubl weiß man nie, wie der tickt. Mit dem legt man sich auch besser gar nicht erst an. Ich sag dir’s, der ist der kommende Mann, und willst du den Präsidenten zum Feind haben? Also ich nicht!“
    „Schön und gut“, gab Cerny zurück, „man muss ja nicht auf offene Konfrontation gehen. Aber ich würde es wirklich sehr begrüßen, wenn wir uns deshalb nicht in unseren Ermittlungen beeinflussen ließen. Ich tippe nach wie vor auf die Kotzlers und Murers, dann erst auf einen familiären Hintergrund, und erst wenn sich alle diese Möglichkeiten als Sackgassen erweisen, wäre ich vielleicht bereit, in Erwägung zu ziehen, dass sich Podlaha oder seinesgleichen vollkommen vergessen hat.“
    Bronstein lächelte erneut: „Na siehst. An dir ist ein Anwalt verloren gegangen. Du bist immer noch viel zu gefühlsbetont, das musst du dir abgewöhnen, denn eine kriminalistische Ermittlung ist eine Form von Wissenschaft, und Wissenschaft ist …“
    „Leidenschaftslos, ich weiß, das sagst du mir immer wieder. Aber eine Ermittlung, die die näheren Umstände eines Falls außer Acht lässt, geht gleichfalls in die Irre. Wie immer und überall macht die Dosis das Gift.“
    Bronstein dämpfte seine Zigarette aus. „Magst ja Recht haben. Ober! Zahlen, bitte!“
    Als Cerny und Bronstein wieder auf die Straße traten, wurden sie förmlich von der Sonne geblendet. Es hatte sich eine ungesunde Hitze entwickelt, dazu eine Schwüle, die ein Gewitter erahnen oder zumindest wünschenswert erscheinen ließ. Automatisch griff Bronstein nach seinem Stecktuch und tupftesich den Schweiß von der Stirn, während die beiden auf den Schwarzenbergplatz zuhielten, wo sie die Straßenbahn besteigen wollten, die sie zum Zentralfriedhof bringen sollte. Einmal dort angekommen, nutzte Bronstein die unumgängliche Wartezeit zu einer weiteren Zigarette, die freilich schon lange auf dem Gehsteig ausgetreten war, als die beiden immer noch auf die Straßenbahn warteten.
    „Da muss was passiert sein“, ließ sich ein anderer Wartender vernehmen. „Aber geh, die brauchen doch immer so lang“, entgegnete ein potenzieller Fahrgast mit resignativem Gleichmut. Doch andererseits warteten sie nun schon gut und gern zwanzig Minuten. Unruhig blickte Bronstein auf die Uhr, denn allmählich wurde es zeitlich eng in Bezug auf den Begräbnistermin. „Was meinst, sollen wir ein Taxi nehmen?“, fragte er Cerny.
    „Das bewilligen uns die nie. Die sagen, und das wahrscheinlich zu Recht, dass wir einfach früher hätten wegfahren sollen.“
    Bronstein seufzte. Er wusste, Cerny hatte Recht. Wo blieb diese vermaledeite Straßenbahn?
    Als er nun endlich entschlossen war, eine weitere Zigarette zu rauchen, hörten sie das charakteristische Quietschen, und nur einen Augenblick später bog das wackelige Gefährt um die Kurve und ratterte mühsam die Schienen entlang, um schließlich ruckartig vor dem Stationsschild zum Stehen zu kommen. Cerny und Bronstein bestiegen den vorderen

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