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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Demands sich mit einer so bescheidenen Grabstätte begnügten, er hatte mit einer Gruft oder wenigstens mit einem prunkvollen Grabstein gerechnet, doch nichts dergleichen war hier zu sehen. Man konnte meinen, dem Begräbnis eines Diurnisten beizuwohnen, und so glanzlos wie der Grabplatz verlief auch das Ende der Zeremonie. Jeder der Anwesenden warf ein wenig Erde auf den Sarg, nickte der Witwe – natürlich hatte die alte direkt neben dem Grab Aufstellung genommen, ihre beiden Söhne immer noch dicht an ihrer Seite – kurz zu und entfernten sich dann eilig. Wenn Bronstein damit spekuliert hatte, irgendwo würde ein potenzieller Mörder unter einem Baum oder hinter einer Grabstele stehen und die Szene aus der Ferne verfolgen, dann sah er sich getäuscht. Er und Cerny hatten den Ausflug nach Simmering völlig umsonst unternommen. Ein heißer Nachmittag, jede Menge Schweiß und Tränen – diese zum Glück seitens der Hinterbliebenen –, mit einem Wort, so sagte sich Bronstein, außer Spesen nichts gewesen.
    Zudem war es mittlerweile schon fast 16 Uhr, eigentlich konnte man den Arbeitstag mithin als beendet betrachten, und das war wohl schon das einzig Positive, das sich überdiesen Nachmittag sagen ließ. Bronstein nickte Cerny kurz zu, der eben allen Mitgliedern der Familie kondoliert hatte, und meinte, nachdem dieser auf ihn zugetreten war: „Sehen wir zu, dass wir Land gewinnen.“
    Bronstein konnte deutlich spüren, wie sehr es Cerny unter den Nägeln brannte, darauf hinzuweisen, dass er hinsichtlich des Begräbnisses Recht behalten hatte, doch er würde es zu verhindern wissen, dass Cerny diesen Umstand auch tatsächlich ansprach – und wenn er bis zum Schwarzenbergplatz schweigen musste.
    Die Rückfahrt in die Stadt erwies sich als dementsprechend ungemütlich. Endlich am Ring angekommen, stellte Cerny die Frage, ob man nun noch das Büro aufsuchen sollte, was Bronstein mit dem Hinweis, es sei ohnehin wenige Minuten vor 17 Uhr, verneinte. Man wünschte sich folgerichtig einen guten Abend und trennte sich.
    Bronstein legte die paar Meter bis zu seinem Wohnhaus in ungewohnter Geschwindigkeit zurück. Er selbst musste sich eingestehen, dass seine Hast schon beinahe an eine Flucht gemahnte, und so fühlte er sich auch. Erst als er seine Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, kam er wieder ein wenig zu sich. Er ging in die Küche, kramte dort unter der Spüle herum, wo er schließlich eine Flasche Erlauer fand, die, wie er meinte, nunmehr ihren Zweck erfüllen konnte. An einem Tag wie diesem musste er einfach seinen Schmerz abtöten, und dafür war Alkohol immer noch die beste Medizin.
    Er entkorkte die Flasche und trug sie gemeinsam mit einem Glas in sein Wohnzimmer. Dort entstaubte er achtlos sein Grammophon und zog aus dem daneben befindlichen Regal die Aufnahme der Ouvertüre zu Wagners „Ring“ hervor. Vorsichtig entnahm er den Tonträger aus seiner Hülle, blies einmal darüber und legte ihn dann auf die Abspielfläche. Langsam setzte er die Nadel auf, dann erst begab er sich zurück zuseinem Ohrensessel, nahm Platz, schenkte sich ein, und rechtzeitig zu den ersten Takten perlte der erste Schluck seine Kehle abwärts.
    Bronstein hätte gerne laut mitgesummt, doch er war so rettungslos unmusikalisch, dass es ihm sicher nicht gelungen wäre, die Melodie zu halten. So beschränkte er sich darauf, das Glas zu leeren, um sich sofort nachzuschenken. Doch ehe er es neuerlich zum Munde führte, nahm er sein Etui zur Hand und steckte sich eine „Donau“ an. Er sah zum Fenster hinaus und starrte gedankenverloren in den Himmel. Der Tag zeigte sich immer noch von seiner besten Seite, und doch konnte Bronstein nicht umhin, erneut ein Abgleiten in Melancholie an sich zu konstatieren. Ob das eine Alterserscheinung war? Eigentlich hatte er immer optimistisch in die Zukunft gesehen, doch seit er im Vorjahr, in kleinstem Kreise übrigens, seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert hatte, schien alles anders zu sein. Es war, als ob er eine Wegmarke passiert, eine Grenze überschritten hätte. Bis zu jenem Zeitpunkt war er überzeugt davon gewesen, noch genügend Zeit für alle Dinge zu haben, die ein Leben erst lebenswert machten, doch just nach jenem Geburtstagsfest war ihm zum ersten Mal aufgefallen, dass er sich alt und verbraucht fühlte. Und mit einem Mal hatte ihn die Furcht überkommen, er könnte tatsächlich als ewiger Junggeselle sterben. Offensichtlich hatte er den Zeitpunkt, sich eine Frau zu nehmen,

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